Bundesregierung will soziale Selektion gesetzlich festschreiben

Zu Schulbeginn sollen Kinder, die in Sozialhilfe- oder Hartz IV-Haushalten leben, künftig 100 Euro pro Jahr und Schüler erhalten. Das sieht die Bundesregierung in ihrem Entwurf für ein „Familienleistungsgesetz“ vor. Allerdings: Die Hilfe, die für zusätzlichen Bedarf an Schulmaterial wie Lehrbücher oder Hefte vergeben werden soll, gilt nur für Kinder bis zur 10. Klasse. Wer in der Oberstufe ist, hat demnach keinen Anspruch auf besondere Hilfe, selbst wenn die Eltern nur Sozialhilfe oder Hartz IV beziehen.

Angesichts dieser unglaublichen Ohrfeige gegen alle Kinder, deren Eltern an der Schwelle zur Armut leben, stellt sich die zynische Frage, ob die Bundesregierung grundsätzlich davon ausgeht, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien grundsätzlich nicht zum Besuch der 11.-13. Klasse in der Lage sind – oder ob sie künftig grundsätzlich daran gehindert werden sollen, weil ihre Eltern ja nur Hartz IV erhalten. In jedem Fall zementiert diese geplante Regelung die soziale Ungleichheit, die ohnehin in Bildungssystem besteht, erheblich. (Ganz unabhängig im Übrigen von der Frage, ob 100 Euro für neue Turnschuhe, Schulranzen, Hefte und Bücher nach dem Wegfall der Lehrmittelfreiheit überhaupt ausreichen können.)

Bei der parlamentarischen Anhörung am Dienstag wurde gleich von mehreren Sachverständigen die geplante Regelung kritisiert, wie der Nachrichtendienst des Bundestages „hib“ berichtete. „Aus bildungspolitischer Sicht halten wir dies für verfehlt“, erklärte etwa die Bundessteuerberaterkammer. Der deutsche Juristinnenbund verlangte demnach, „den Schulbedarf als echte Erhöhung des Bedarfssatzes auszugestalten und die geplanten Kontrollen der Leistungsberechtigten entfallen zu lassen.“

Auch aus der SPD wurden kritische Stimmen laut. Die beiden BerichterstatterInnen der SPD-Bundestagsfraktion, Lydia Westrich und Swen Schulz, erklärten, eine solche Einschränkung sei „absolut nicht vertretbar.“ Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien müssten „stärker unterstützt werden bei der Moeglichkeit, einen höheren Schulabschluss zu erlangen.“

Im Rahmen der Anhörung wurde auch kritisiert, dass das Kindergeld nur um 5% bzw. 10 Euro steigen solle. Die realen Kostensteigerung seit der letzten Kindergelderhöhung betrügen 18%, weshalb die Kirchen auch eine entsprechend Erhöhung forderten. Schon bei der BAföG-Erhöhung hatte Bundesbildungsministerin Schavan nicht dazu durchringen können, die aktuellsten Zahlen zum Mehrbedarf für Studierende zu nehmen, sondern sich mit den Vorjahreszahlen zufrieden zu geben.