Stellungnahme des fzs zu den Auswirkungen des Mindestlohns

Der fzs wurde von der gesetzlichen Mindestlohnkommission aufgefordert, zu den Auswirkungen des Mindestlohns eine Einschätzung abzugeben. Im folgenden findet ihr unsere Stellungnahme, die auch als Anlage dem Bericht der Kommission beigelegt werden wird. Die Überschriften sind dabei aus der Anfrage übernommen

1.) Grundsätzliche Einschätzungen zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns sowie insbesondere dessen letzten Erhöhungen auf 9,19 Euro zum 1. Januar 2019 und 9,35 Euro zum 1. Januar 2020

Mehr als zwei von drei Student*innen arbeiten neben ihrem Studium. Dies kommt insbesondere durch die lebensferne Kalkulation des BAFöG-Satzes sowie den hohen Hürden für den Bezug von Ausbildungsförderung zustande. Diese führen zusammen dazu, dass nur ein Bruchteil der Student*innen Ausbildungsförderung beziehen und dieses wiederum nur einen Bruchteil ihrer monatlichen Ausgaben deckt. Dies erklärt, warum selbst unter BAFöG-Empfängerinnen 54% bzw. 60% (ersteres bei elternabhängiger, zweiteres bei elternunabhängiger Ausbildungsförderung) neben ihrem Studium arbeiten. Ein KfW-Studienkredit wird zur Studienfinanzierung überwiegend abgelehnt, da Studierende erhebliche Bedenken haben, sich für ihre Ausbildung zu verschulden.

2.) Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf den angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

a.) Relevanz des Mindestlohns für die Beschäftigten

Vor allem die Mietentwicklung treibt die Lebenshaltungskosten von Student*innen Jahr für Jahr in die Höhe und die Anpassung des BAFöG-Satzes hat hierbei nur unzureichend Abhilfe geschaffen. Ein Studium ohne Nebenjob ist in Städten wie München oder Hamburg zunehmend undenkbar. Die Erhöhung des Mindestlohns hat für studentische Beschäftigte einen doppelten Effekt: Einerseits können dadurch steigende Lebenshaltungskosten kompensiert werden, andererseits kann die Arbeitszeit eingeschränkt werden. Daher ist eine weitere Anhebung des Mindestlohns bei der aktuellen Entwicklung des Wohnungsmarktes unumgänglich, um die freie Wahl des Studienortes aufrechtzuerhalten. Der Verdienstausfall aufgrund der Pandemie hat außerdem etwaige Ersparnisse von studentischen Beschäftigten aufgezehrt und eine erhebliche Anzahl dazu gezwungen, sich Geld zu leihen. Um diese Schulden abzubauen und wieder Ersparnisse aufzubauen werden Studierende nach der Pandemie gezwungen sein, mehr zu arbeiten, falls sich das Lohnniveau nicht erhöht.

b.) Auswirkungen des Mindestlohns auf die Einkommen von Geringverdienern

Studierende sind zumeist nur geringfügig beschäftigt und ohne einschlägige Ausbildung. Ihre Entlohnung richtet sich daher überdurchschnittlich oft am Mindestlohn aus. Auch bei herausfordernderen Tätigkeiten ist von einem Spillover-Effekt auszugehen, wonach die Erhöhung des Mindestlohns auch Löhne erhöht, die bisher leicht über dem Mindestlohn waren. Die Effekte des Mindestlohns auf studentische Beschäftigte sind daher besonders schwerwiegend. Auch trägt die häufig nur kurzfristige Beschäftigung, beispielsweise über die vorlesungsfreie Zeit oder die Dauer eines Bachelor- respektive Master-Studiums dazu bei, dass studentische Beschäftige durch hohe Fluktuation größere Schwierigkeiten in der betrieblichen und gewerkschaftlichen Selbstorganisation haben. Bisher gelang es nur in Berlin, an den Hochschulen einen Tarifvertrag für studentische Beschäftige zu erringen (TVStud). Die positiven Effekte des Mindestlohns (und seiner Erhöhung) lassen sich also voraussichtlich nicht durch andere Maßnahmen ersetzen und unterstreichen seine besondere Bedeutung für Student*innen.

c.) Auswirkungen des Mindestlohns auf das Steuersystem und die Systeme der sozialen Sicherung

Durch eine Erhöhung des Mindestlohns können im Falle der Überschreitung des Freibetrags durch Student*innen geringere Ausbildungsförderung anfallen. Daher ist mit geringfügigen Minderausgaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu rechnen.

d.) Einhaltung des Mindestlohns

Durch das öffentliche Bewusstsein von der Existenz des Mindestlohns werden studentische Beschäftigte ermutigt, diesen auch einzufordern oder sich im Zweifelsfall nach anderer Beschäftigung umzuschauen. Die Förderung dieses Bewusstseins ist daher elementar. Studentische Beschäftigte befinden sich häufig in mehreren Abhängigkeiten zur*m Vorgesetzten. Hier ist eine einzelne Person gleichzeitig Vorgesetzte*r, Prüfer*in sowie ggf. wissenschaftliche Mentor*in und entscheidet über Verlängerung der Anstellung und den Fortgang respektive Scheitern des Studiums. Gerade durch die mehrdimensionalen Abhängigkeiten von der*m direkten Vorgesetzten, wird es den Arbeitnehmer*innen erschwert gegen Verstöße vorzugehen, Beschwerde einzulegen oder sogar Klagen anzustreben. Dies betrifft besonders unbezahlte Mehrarbeit. Dementsprechend fordert der fzs die flächendeckende Etablierung von Arbeitnehmer*innenvertretungen für studentische Beschäftigte an Hochschulen, um die Einhaltung des MiLoG wirksam zu unterstützen.

3.) Auswirkung des Mindestlohns auf faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen

Wie bereits dargelegt führen höhere Löhne nur teilweise zu einem insgesamt höheren Einkommen von Student*innen. Gerade in der jetzigen Situation ist davon auszugehen, dass höhere Löhne vor allem dazu genutzt werden, eine übermäßige Verschuldung zu vermeiden und möglichst schnell geringfügige Ersparnisse aufzubauen. Daher ist mit einem Anstieg der Verbraucherpreise durch höhere studentische Nachfrage nicht zu rechnen. Studentische Beschäftigung bleibt bei einer Erhöhung des Mindestlohns voraussichtlich stabil. Die Möglichkeit, bei einem höheren Stundenlohn die Arbeitszeit zu reduzieren und mehr Zeit dem Studium zu widmen, trägt sogar eher zu einer Reduktion bei. Der stärkste Effekt geht jedoch voraussichtlich von einer Externalität aus: Die steigenden Mieten in Universitätsstädten treiben die Lebenshaltungskosten Jahr für Jahr in die Höhe. Da eine Anpassung der BAFöG-Wohnpauschale derzeit nur 12% der Studierenden helfen würde, sind studentische Beschäftigte gezwungen von Jahr zu Jahr mehr Zeit ihrer Nebenbeschäftigung zu widmen, womit erhebliche Probleme im Studium einhergehen können. Eine regelmäßige Erhöhung des Mindestlohns ist daher unabdingbar, um studentische Beschäftigung auf dem derzeitigen Niveau zu halten. Eine „Vollbeschäftigung“ der Student*innen ist sicherlich wenig wünschenswert und würde angesichts der begrenzten Möglichkeiten für studentische Beschäftigung unabsehbare Folgeeffekte haben. Im schlimmsten Fall könnten Student*innen, die auf eine Nebenbeschäftigung angewiesen sind, aber keine finden, dazu gezwungen sein ihr Studium abzubrechen. Dieser Effekt ist entgegen der Intuition wahrscheinlicher, wenn es nur einen geringen Mindestlohn gibt, während eine Erhöhung des Mindestlohns studentische Beschäftigung eher reduziert beziehungsweise im Kontext steigender Lebenshaltungskosten stabil hält.