Haben SPD und B90/Die Grünen in der Vergangenheit Studiengebühren kategorisch abgelehnt, lassen auch hier immer mehr Politikerinnen ihre Bereitschaft erkennen, Studiengebühren einzufahren. Bei der SPD fordert der bildungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Peter Glotz, seit Frühling letzten Jahres die Einführung von Studiengebühren, seit Mai diesen Jahres auch der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Ulrich Klose. Bündnis 90/Die Grünen lehnen Studiengebühren zwar offiziell noch ab, gleichzeitig legen sie mit ihrem BAFF-Modell ein Refinanzierungsmodell vor, das sich auf die Argumente der Studiengebührenbefürworterlnnen stützt. Obwohl die HRK noch nicht über ihre Position zu Studiengebühren entschieden hat, spricht deren Präsident, Hans-Uwe Erichsen, inzwischen offen darüber, daß über Studiengebühren das Verhalten der Studierenden gesteuert und damit ein angeblicher Mißbrauch des Studierendenstatusses verhindert werden soll. Damit werden Studierende als „Sozialschmarotzerinnen“ diffamiert und ihnen eine Teilschuld an der gegenwärtigen Sozialstaatskrise zugewiesen. Mehrere Bundesländer planen schon konkret die Einführung von Studiengebühren: Berlins rotschwarze Regierung hat die Einführung einer „Einschreib- und Rückmeldegebühr“ in Höhe von 100 DM beschlossen, Niedersachsens Wissenschaftsministerin Schuchardt will ebenfalls eine „Einschreibgebühe“ von ca. 100 DM erheben, Baden-Württembergs CDU und FDP schreiben in ihren Koalitionsvereinbarungen die Einführung von Studiengebühren nach Überschreitung der Regelstudienzeit in Höhe von 1 000 DM fest.
Gerade die Beispiele Berlin und Niedersachsen zeigen jedoch, daß es im Zweifel keineswegs ausschließlich darum geht, den Hochschulen zusätzliche Finanzen zukommen zu lassen. Berlin will die Einnahmen aus den Gebühren vollständig dazu verwenden, den Landeshaushalt zu konsolidieren. Auch in Niedersachsen soll nur ein Drittel der Einnahmen (10 Mio. DM jährlich) an die Hochschulen fließen, nachdem Kürzungen von 450 Mio. DM im Hochschulbereich durchgesetzt wurden; der Rest geht an den Landeshaushalt. Einer der exponiertesten Befürworterlnnen von Studiengebühren ist der Direktor des Centrums für Hochschulentwicklung, Detlev Müller-Böling. Im Rahmen des Arbeitsprogramms des CHEs, das Hochschulsystem durch die Einführung wettbewerblicher und marktwirtschaftlicher Steuerungssysteme in den Dienst des Wirtschaftsstandortes zu stellen und finanziert von der Bertelsmann-Stiftung, war Müller-Böling nicht nur an der Erarbeitung des HRK-Papiers „Zur Finanzierung der Hochschulen“ beteiligt, sondern legte auch mit dem Modell des „Deutschen Studienfonds zur Qualitätssicherung der Hochschulen“ das aussichtsreichste Modell für Studiengebühren vor.
In 5 Argumentationszusammenhängen bildungspolitischen, sozialpolitischen, verteilungspolitischen, hochschulpolitischen und finanzpolitischen -entwickelt Müller-Böling in Anlehnung an das australische „Higher Education Contribution Scheme HECS“, ein Modell von Studiengebühren, bei dem alle Studierenden 1.000 DM pro Semester zahlen müßten. Die Zahlung könnte auch durch Inanspruchnahme eines Darlehens aus dem „Deutschen Studienfonds“ geleistet werden. Dieses Darlehen müßte dann – analog zum BAFF – nach Beendigung des Studiums zurückgezahlt werden, wenn das Einkommen eine gewisse Grenze überschreitet. Der fzs fordert ein Ende der Debatte über die Einführung von Studiengebühren.
Der fzs spricht sich gegen Studiengebühren in jeder Form aus. Studiengebühren sind das Ende jeglicher Chancengleichheit, da sie die Entscheidung zu studieren an die Finanzkraft der Einzelnen knüpfen. Der Zugang sozial und finanziell unterprivilegierter Gruppen zur Hochschulbildung, der bereits in der Vergangenheit weiter abgenommen hat, wird durch Studiengebühren noch weiter erschwert. Die Beteiligung an gesellschaftlich notwendigen Kosten wie dem Unterhalt der Hochschulen wird durch Studiengebühren – wie auch durch Refinanzierungsmodelle -auf eine einzelne soziale Gruppe -Studentlnnen und Akademikerlnnen verlagert, anstatt solidarisch durch eine sozial gerechte Besteuerung der Privateinkommen vorgenommen zu werden. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen werden somit öffentliche Kosten zu privaten Kosten umverlagert. Der Staat zieht sich aus der Verantwortung für die Hochschulen zurück. Der Erkenntnisprozeß und Lebensabschnitt Studium wird durch Studiengebühren den Steuerungsmechanismen der Marktwirtschaft unterworfen und zur konsumierbaren Ware. Die Hochschulen sollen nach den Bedürfnissen des Wirtschaftsstandortes gestaltet werden, da Hochschulen durch die Einführung von Studiengebühren untereinander einen Wettbewerb führen sollen. Ziel ist, Hochschulen flexibel und innovativ auf Wirtschaftsbedürfnisse reagieren zu lassen. Für den fzs darf Bildung nicht ein dem kapitalistischen Wirtschaftssystem untergeordneter Bereich sein.
Studiengebühren werden entgegen der Aussage von Müller-Böling dazu führen, daß die Studierneigung insbesondere finanziell schwächer Gestellter weiter sinkt. Bereits im Zuge der Verschlechterungen beim BAföG sank der Anteil der StudentInnen aus einkommensschwachen Schichten in den letzten zwölf Jahren von 24 auf 14 Prozent. Ein derartiger Trend würde sich noch weiter verstärken. Bildung, und damit auch Hochschulbildung, ist staatliche Aufgabe. Es besteht ein gesellschaftliches Interesse daran, möglichst vielen Menschen zu einem möglichst hohes Bildungsniveau zu verhelfen. Dies hilft den Menschen, die Bedingungen ihrer sozialen Existenz zu erkennen und aktiv mitzugestalten. Daraus ergibt sich die staatliche Verpflichtung zur Finanzierung des Bildungssystems.
Akademikerlnnen haben derzeit unbestritten ein durchschnittlich höheres Lebenseinkommen als Nicht-Akademikerlnnen, in der Regel humanere Arbeitsplätze und größere Handlungs- und Freiheitsspielräume. Daraus aber die These abzuleiten, die Einführung von Studiengebühren würde eine größere Verteilungsgerechtigkeit zwischen „Arm“ und „Reich“ herbeiführen, läßt die grundlegende Verteilungsungerechtigkeit unberücksichtigt, die auch unabhängig vom Akademikerlnnen- oder Nicht-Akademikerlnnen-Status besteht.
Studiengebühren würden Lehre und Studium nach einem marktförmigen Warenverhältnis organisieren. Sie würden dazu führen, daß StudentInnen Lehre konsumieren und sich nach Möglichkeit marktkonform als Nachfragerlnnen verhalten. Damit würden die Möglichkeiten, über demokratische Teilhabe an den Entscheidungsprozessen in der Hochschule beteiligt zu sein, weiter eingeschränkt. Alleiniges Steuerungsinstrument ist das sich selbst regulierende System von Angebot und Nachfrage. Nicht „marktgängige“ Inhalte und Lernformen wären nicht mehr existent. Die Postulierung der alternative: Marktförmigkeit der Hochschule oder Allmacht der Professorlnnen läßt völlig die Notwendigkeit demokratischer Entscheidungsprozesse außer Acht.
Auch mit der von Müller-Böling vorgeschlagenen Koppelung der staatlichen Finanzzuweisungen an die Hochschulen an die Einnahmen durch Studiengebühren gäbe es kein Hindernis für die Finanzministerlnnen, die staatlichen Hochschulausgaben entsprechend den Einnahmen durch Studiengebühren zu kürzen. Den Hochschulen würden somit bei der gegenwärtigen Finanzpolitik, die sich sogar noch zu verschärfen droht, keine zusätzlichen Mittel zukommen. Dadurch wäre der einzige Effekt von Studiengebühren die Steuerung des Studienverhaltens durch ein marktförmiges System.
Beschlossen auf der 5. MV in Köln, Mai 1996