Am 9.10.02 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die dritte vergleichende europäische Sozailerhebung „Euro Student 2000“ veröffentlicht. „Euro Student“ geht auf eine Initiative von ECStA, dem europäischen Dachverband studentenwerksähnlicher Strukturen zurück. Die Erhebung vergleicht Daten zur sozialen Lage von Studierenden aus acht europäischen Ländern. Neben Deutschland nahmen Finnland, Irland, die Niederlande, Belgien (Flandern und Wallonie), Frankreich, Österreich und Italien teil. Es wurden Daten zu neuen Themenbereichen verglichen, u.a. Hochschulzugang, soziale Zusammensetzung, Wohnraum, Studienfinanzierung, Zeitbudget und Internationalisierung.
Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein teilweise erschreckendes Bild der sozialen Situation der Studierenden in Europa. In Deutschland ist die Lage vergleichsweise durchwachsen, es gibt einige positive Vergleichsdaten, die Lage der Studierenden ist allerdings als überwiegend schlecht zu bewerten. Die Förderungsrate bei deutschen Studierenden liegt mit etwa 20 % im unteren Bereich der acht in der vergleichenden Sozialerhebung „Euro Student 2000“ verglichenen Staaten. Zum Vergleich: Finnland und die Niederlande haben Förderungsraten von über 80 %. Die Studie belegt damit: „In keinem der verglichenen Länder ist der Abstand zwischen studentischer Selbständigkeit und finanzieller Abhängigkeit von den Eltern so groß wie in Deutschland.
Während nur 24% der Studierenden bei den Eltern wohnen [Anm. 1] und Deutschland damit hinter Finnland die zweitniedrigste Rate aufweist, tragen die Eltern mit ca. 41 % nach Flandern und Italien den drittgrößten Anteil zur Studienfinanzierung bei [Anm. 2]. In Finnland sind dies 8 %, in den Niederlanden 15 %. Mit 12,7 % trägt der Staat in Deutschland am drittwenigsten zur durchschnittlichen Studienfinanzierung bei. Damit wird der gesellschaftlichen Realität der Studierenden nicht Rechnung getragen. Das System der elternabhängigen Studienfinanzierung ist nicht mehr zeitgemäß,“ so Heiner Fechner vom Vorstand des fzs.
Ein großes Problem stellt auch die hohe Unzufriedenheit mit den Wohnverhältnissen dar. Knapp 20 % der Studierenden in Deutschland sind mit ihrer Wohnsituation unzufrieden – mehr als doppelt so viele wie in allen anderen verglichenen Staaten. „Die aktuelle Wohnungsnot ist offensichtlich Ausdruck eines grundlegenden Wohnraumproblems in Deutschland. Nur ein Bruchteil der Studierenden will bei den Eltern wohnen, nicht viel mehr im Studentenwohnheim. Die Studie belegt eindrucksvoll unsere Forderung, mittels staatlicher Programme in den Hochschulstädten ausreichend Mietwohnungen zu bauen“, so Fechner weiter.
Erschreckend ist die hohe Abhängigkeit von Erwerbstätigkeit zur Finanzierung des Studiums. Mehr als ein Drittel des Lebensunterhalts wird in Europa durchschnittlich durch Arbeit erwirtschaftet. Deutschland liegt hier mit 36 % sogar noch im unteren Bereich. Die durchschnittliche Arbeitszeit liegt für Studium und Job liegt über 43 Stunden pro Woche. „Der Staat lässt die Studierenden im Stich – in ganz Europa. Von einer 40-Stunden-Woche können wir nur träumen. Insbesondere der hohe Zeitaufwand für Erwerbstätigkeit verhindert eine Konzentration auf das Studium. Damit sind Qualitätseinbußen und verlängerte Studienzeiten vorprogrammiert“, so Fechner. Das Versagen des deutschen Bildungssystems verdeutlichen die Vergleichszahlen zur Studierquote. Mit weniger als einem Drittel eines Jahrgangs liegt Deutschland am unteren Ende der Skala.[Anm. 3] Zum Vergleich: In Finnland sind es 67 %, in den Niederlanden 54 %. Fechner: „In den Zahlen zum Hochschulzugang spiegeln sich die Ergebnisse der PISA-Studie wider.
Insofern überrascht es nicht, dass das System mit der höchsten sozialen Selektionsrate im Schulsystem diese Tendenz bei den Hochschulen fortsetzt. Zumal ein indirekter Hochschulzugang über vorherige Berufstätigkeit in Deutschland weitgehend ausgeschlossen ist. Die im internationalen Vergleich rückschrittliche frühe Gliederung des Schulsystems in Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien muss weg. Ob schwarz oder rot: das deutsche Schulsystem ist schlecht, es muss insgesamt umfassend reformiert werden.“
Insgesamt bedauerlich an der Sozialerhebung ist die geringe Anzahl der Teilnehmerstaaten und die unzureichende Qualität der Ausführung. So sind vielfach die Bezugsgrößen der Daten nicht klar, die deutschen Daten entsprechen häufig nicht den Zahlen der DSW-Sozialerhebung, die eigentlich die Datengrundlage darstellen soll. „Bei der Euro-Student Studie besteht großer Verbesserungsbedarf. Die studentischen Dachverbände Deutschlands und Europas sind gerne bereit, sich maßgeblich an dieser Verbesserung zu beteiligen.
Der fzs wird sich als Vorsitz-Verband der Arbeitsgruppe Sozialpolitik des europäischen studentischen Dachverbandes ESIB gern mit aller Kraft dafür einsetzen. Allerdings sind dazu bessere Mitwirkungsmöglichkeiten der Studierenden unverzichtbar.“ Diese sind laut Fechner nicht zuletzt im europäischen Vergleich in Deutschland vollkommen unzureichend.
Anm. 1: laut DSW-Sozialerhebung sind es nur 21 % – eine bislang unerklärliche Differenz angesichts der gleichen Datenbasis
Anm. 2: erfasst wurden hier die außerhalb des Elternhauses wohnenden Studierenden
Anm. 3: Die Zahlen in der Studie stammen ausschließlich Österreichs aus der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“. Die für Deutschland in der Studie genannten 31 % lassen sich aus den OECD-Daten allerdings nicht errechnen, es müssten 28 % sein. Für alle anderen Staaten stimmen die Daten mit den OECD-Daten überein.