Eckpunkte zum Lissabon Prozess

Der Lissabon Prozess wurde mit den Beschlüssen der Sitzung des Rates der Europäischen Union in Lissabon im März 2000 eingeleitet und soll die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbfähigsten Wirtschaftsraum der Welt machen. Hiervon werden alle wirtschaftlichen und sozialen, also auch der Bildungsbereich berührt. Bildung wird eine rein instrumentelle Rolle zugeschrieben; Bildungspolitik wird auf Wettbewerbspolitik verkürzt.

Der Lissabon Prozess steht in enger Beziehung zu anderen europäischen Reform-Prozessen im Bildungsbereich. Dabei gründen sich diese Beziehungen auf die beteiligten Akteure der Prozesse und sich daraus ergebende vergleichbare Ziele und explizite Bezugnahmen sowie auf kompatible Maßnahmen.

Im Unterschied zum Lissabon Prozess ist der Bologna Prozess jedoch nicht nur auf die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschränkt, sondern umfasst derzeit 45 Mitgliedsländer. Zudem ist eine Ausweitung des Bologna Prozesses und eine internationale Kooperation zwischen Hochschulsystemen vereinbarten Einzelmaßnahmen möglich und erwünscht, im Rahmen des Lissabon Prozesses durch eine Beschränkung auf EU Mitglieder nicht möglich.

Innerhalb des Bereiches der beruflichen Bildung hat die europäische Kommission eine Initiative angeregt, die als Kopenhagen Prozess bezeichnet wird und wie der Lissabon Prozess auf die EU Mitglieder beschränkt ist. Vergleichbar mit dem Bologna Prozess, verfolgt der Kopenhagen Prozess ebenfalls das Ziel einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung. Hierzu wurden Reformschritte vereinbart, die eine große Ähnlichkeit zu den innerhalb des Bologna Prozesses konzipierten aufweisen.

Darüber hinaus gibt es vor allem in Bezug auf die angestrebte Erhöhung der AbsolventInnenzahlen insbesondere im naturwissenschaftlich-technischen Bereich sowie einer stärkeren Anwendungsorientierung von Forschung im Rahmen des Lissabon Prozesses klare Überschneidungen zu den Initiativen innerhalb des europäischen Forschungsraumes.

Die Europäische Union entwickelt und fördert finanziell insbesondere solche Instrumente, die für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sowohl des Berufsbildungs- als auch des Hochschulbereiches beitragen. Dies ist einerseits in der Zielsetzung der Kompatibilität von Reformen im Berufsbildungs- und Hochschulbereich begründet und andererseits in der eingeschränkten Kompetenz der Europäischen Kommission im Hochschulbereich.

Der Lissabon Prozess beschränkt sich auf die Mitgliedsländer der Europäischen Union, deren Beitrittskandidaten sowie die Länder der EEA. Deshalb ist er, unserer Ansicht nach, nicht als primäre Internationalisierungsstrategie im Bildungsbereich anzusehen, da der Prozess nicht weiteren Ländern offen steht, sondern sich auf eine Kooperation im Rahmen der genannten Länder beschränkt, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Dem gegenüber wird im Rahmen Bologna Prozesses die Beteiligung weiterer Länder begrüßt und die Bedeutung internationaler wissenschaftlicher Kooperation hervorgehoben.

Darüber hinaus fokussiert der Lissabon Prozess vorrangig auf die Förderung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, die über eine Stärkung der europäischen Bildungssysteme erreicht werden soll. Beim Bologna Prozess hingegen stellt die soziale Dimension des europäischen Hochschulraumes sowie die internationale wissenschaftliche Kooperation zentrale Elemente dar.

Weiterhin erachten die gleichberechtigte Beteiligung aller InteressenvertreterInnen bei der Gestaltung der Prozesse und die Transparenz der Entscheidungsstrukturen, beteiligten Personen und ihre Weiterentwicklung als zentral, um deren Akzeptanz und Umsetzung in den Ländern und bei den Akteuren in den einzelnen Bildungsbereichen auf lokaler Ebene zu sichern.

Schließlich ergeben sich für uns grundlegende Zweifel an der Sinnhaftigkeit indikatorengestützter Bildungssteuerung, wie sie im Lissabon Prozess angewandt wird. Einerseits stellt sich grundsätzlich die Frage, inwieweit die Festlegung von Indikatoren möglich ist, hinsichtlich des zu messenden Gegenstandes, der Art und Weise der Messung und der Aussagekraft entsprechender Messungen in Bezug auf den Reformbedarf in Bildungssystemen. Eine indikatorengestützte Bildungssteuerung muss in gleicher Weise mit der Festlegung einer Strategie zur Erreichung der vereinbarten Ziele einhergehen, um die Kompatibilität und Vergleichbarkeit der verschiedenen europäischen Bildungssysteme zu gewährleisten. Die Subsumption des Bologna Prozesses und der darin vereinbarten Umsetzungsmaßnahmen unter den Lissabon Prozess lehnen wir jedoch ab. Dies beruht auf der vorrangigen Ausrichtung dieses Prozesses auf den Wettbewerbsgedanken und der gleichzeitigen Verdrängung der Bedeutung akademischer Grundwerte sowie der sozialen Kohärenz.

Eckpunkte einer Positionierung des fzs

Der fzs begrüßt im Rahmen des Lissabon Prozesses, dass der Bildungspolitik eine zentrale Bedeutung zugemessen wird. Bezüglich des übergeordneten Ziels betont der fzs jedoch, dass die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit nicht das vorrangige Ziel der Reformanstrengungen sein darf. Die soziale Kohäsion und die Verbesserung der Beschäftigungssituation sowie die kulturelle Dimension und das emanzipatorische Gesellschaftsbewusstsein müssen als gleichberechtigte Ziele im Rahmen des Lissabon Prozesses nebeneinander stehen.

Der fzs begrüßt die Forderung der EU nach einer Erhöhung der finanziellen Investitionen im Forschungsbereich. Zudem begrüßt der fzs die Position der EU, dass Bildungshaushalte nicht in erster Linie als Kosten sondern als Investitionen in die Zukunft zu betrachten sind. Entsprechende Forderungen müssen allerdings auch umgesetzt werden. Der fzs steht der Forderung nach einer Erhöhung des Anteils privater Mittel im tertiären Bildungsbereich und der Erwachsenenbildung kritisch gegenüber. Der fzs wendet sich strikt gegen jegliche Form von Studiengebühren und betont, dass Studiengebühren dem Ziel der höheren sozialen Kohäsion zuwider laufen. Zudem betont der fzs, dass Initiativen der privaten Förderung der Hochschulfinanzierung strikten gesetzlichen Vorschriften und der Kontrolle der demokratisch gewählten Hochschulgremien unterliegen müssen. Für den Bereich der beruflichen Bildung müssen Finanzierungsmechansimen entwickelt werden, in denen in Partnerschaften zwischen ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen und Regierungen Modelle entwickelt werden, die eine gerechte Aufteilung der Kosten auf die Beteiligten vornehmen.

Der fzs begrüßt die europäische Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung und gegenseitigen Anerkennung sowie die Unterstützung der Europäischen Union in diesen Bereichen. Allerdings muss die Sinnhaftigkeit europäischer Indikatoren in der Qualitätssicherung hinterfragt werden. Zudem äußert der fzs grundlegende Zweifel an der Sinnhaftigkeit der indikatorenbezogenen Bildungssteuerung, da sich nicht für alle Zielvorgaben quantitative Indikatoren entwickeln lassen, die sinnhaft zu messen und zu interpretieren sind. Zudem hebt der fzs hervor, dass im Rahmen von indikatorgestützter Bildungssteuerung die Festlegung einer gemeinsamen Strategie zur Umsetzung der vereinbarten Ziele von zentraler Bedeutung ist. Die Subsumption des Bologna Prozesses und der darin vereinbarten Einzelmaßnahmen unter den Lissabon Prozess lehnt der fzs ab.

Der fzs fordert innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine offene Debatte über den Lissabon Prozess als Gesamtstrategie zu führen, anstelle einzelne Aspekte des Prozesses ohne Berücksichtigung und Bezug auf die europäischen Diskussionen, Entwicklungen und Auswirkungen des Lissabon Prozesses auf die nationale Ebene bewusst herausgelöst zu betrachten. Dies befördert lediglich eine Umsetzung a’la carte, die zu einer Inkompatibilität mit Maßnahmen in anderen Mitgliedsländern und auf europäischer Ebene führen. Wir fordern daher Bund und Länder dazu auf, unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Deutschland, Gruppen einzurichten, welche die Umsetzung der Lissabon Strategie in Deutschland diskutieren, begleiten und Positionen entwickeln sollen, die von den VertreterInnen der Bundesregierung auf europäischer Ebene eingebracht werden. Die Einrichtung dieser Arbeitsgruppen muss demokratisch und transparent erfolgen. Darüber hinaus fordern wir Bund und Länder auf, verstärkt über die Lissabon Ziele zu informieren und eine breite öffentliche Debatte um die Orientierung des Bildungssystems an diesen Zielen zu befördern.

Der fzs betont, dass trotz gewisser Übereinstimmungen signifikante Unterschiede zwischen Bologna und Lissabon Prozess bestehen. Diese sind zu finden in der Offenheit der Prozesse für weitere Länder und der damit tatsächlichen Internationalisierung von Bildung. Ebenso unterscheiden sie sich in der Festlegung von Zielen, Umsetzungsmaßnahmen und der Evaluation der Zielerreichung. Schließlich sind Unterschiede feststellbar in der Transparenz der Arbeitsstrukturen, der Beteiligung von InteressenvertreterInnen im Bildungsbereich und der Art und Weise der Weiterentwicklung der Prozesse. Die Unterschiede beruhen vornehmlich auf der politischen Handlungsgrundlage der Akteure.

Abschließend fordert der fzs eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Weiterentwicklung des Bildungssystems und die Internationalisierung von Bildung.

(beschlossen durch den 29. AS im März 2006)