- „Eigenverantwortung fördern! Anwesenheitspflichten überwinden!“
Der Vorteil von Lehrveranstaltungen ist, dass Informationen komprimiert und thematisch zugeschnitten auf die zu erbringenden Leistungsnachweise und Studiengangsprofile bereit gestellt werden. Relevante Qualifikationen aus dem Bereich der Sozialkompetenz und der Selbstständigkeit sind (in Lehrveranstaltungen) mit Anwesenheitspflicht nicht abprüfbar. Es ist festzustellen, dass Lehrveranstaltungen denkbar sind, an deren Kompetenzvermittlung die interessierte Mitwirkung der Studierenden Voraussetzung ist. Dieses Interesse lässt sich allerdings nicht mit Anwesenheit belegen. Die Umsetzung des Bolognaprozess hat dazu geführt, dass die Entwicklung von Kompetenzen zum Ziel von Studiengängen geworden ist. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, um Kompetenzen abzufragen. Anwesenheit kann das Erreichen dieser Kompetenzen in keinster Weise gewährleisten. Weiterhin erfordern alle Eingriffe in die Rechte der Studierenden eine entsprechende gesetzliche Grundlage. Eine mögliche Verankerung in Studien- und Prüfungsordnungen reicht dafür allein nicht aus. Auch dies sollte nicht auf einer allgemeinen Begründung erfolgen. Die Teilnahme an einer Belehrung – für die Nutzung eines Labors – zu dokumentieren, ist aufgrund von Sicherheitsbestimmungen denkbar. Eine rechtliche Festlegung ist (trotzdem) zwingend erforderlich. Schließlich stellt eine allgemeine Anordnung von Anwesenheitspflichten in Lehrveranstaltungen einen Eingriff in die Studierfreiheit nach § 4, Abs. 4 (3) des Hochschulrahmengesetzes, die Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12, Abs. 1 GG und in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2, Abs. 1 GG dar. Den Studierenden muss die Möglichkeit gegeben werden, sich die vermittelten Inhalte auf individuelle Weise anzueignen. Das fördert nicht nur das kritische Denken, sondern auch die Selbstständigkeit der zukünftigen Akademiker*innen. Die durch die Kontrolle der Anwesenheit entstehende Lernatmosphäre und die Suggestion, dass durch pure Anwesenheit eine Leistung erbracht werden könnte, forciert die Verschlechterung des tertiären Bildungsbegriffs. Es muss verhindert werden, dass das Sitzen auf einem Stuhl mehr Vorteile und Chancen bietet, als das selbstständige Aneignen aller geforderten Inhalte. Studierenden darf nicht die Möglichkeit verwehrt werden, eine Prüfung abzulegen, wenn sie sich in der Lage fühlen, diese zu schreiben. Es darf kein Bild von Studierenden gefestigt werden, das davon ausgeht, dass nur unter Zwang studiert wird und dass dieser aus Anwesenheitspflicht resultierende Zwang dann zum Grundsatz von Hochschullehre wird. Denn Studierende wollen studieren, lernen, Interessen entwickeln und ihnen nachgehen. Hierauf Druck auszuüben kann das Gegenteil verursachen und nimmt die Freude am Lernen sowie das Interesse am Fach. Zum Prozess der Persönlichkeitsbildung gehören unter anderem der Wille zur Verständigung, Selbstverantwortung und Kreativität. Diese Eigenschaften können nicht mit Teilnahmepflichten erzwungen werden, sondern sind nur im selbstbestimmten Lernen zu erreichen.In einigen Fällen ist die Lehre so schlecht, dass die Veranstaltungen nicht besucht werden, in Reaktion darauf wird manchmal Anwesenheitspflicht eingeführt, anstatt die Veranstaltung zu verbessern. Insbesondere auch in solchen Fällen lehnen wir die Anwesenheitspflicht entschieden ab, da hier anstatt einer Verbesserung der Lehre eine Gängelung der Studierenden erfolgt. Nicht zuletzt müssen Studierende sehr oft selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen, haben Versorgungspflichten, engagieren sich gesellschaftlich oder sind durch sonstige Hinderungsgründe manchmal einfach nicht in der Lage oder nicht gewillt, starren Anwesenheitsvorschriften kontinuierlich Folge zu leisten, ohne dass ihre Leistungen über das Semester betrachtet davon beeinträchtigt werden. Diesen Tatsachen werden durch die Anwesenheitspflichten keinen Raum gegeben und die freie Entfaltung der Studierenden wird somit nicht gewährleistet.