Solidarität mit den Protesten gegen das „loi travail“ in Frankreich

beschlossen auf der 55. Mitgliederversammlung

Der freie zusammenschluss der Student*innenschaften (fzs) erklärt sich solidarisch mit den streikenden und protestierenden Student*innen in Frankreich.
Die Loi Travail (Arbeitsgesetz) oder auch Loi El Khomri (Gesetz El Khomri), benannt nach der Ministerin für Arbeit, Beschäftigung und sozialen Dialog Myriam El Khomri, wurde ohne demokratische Abstimmung unter Rückgriff auf § 49.3 nach erster und zweiter Lesung am 5. Juli 2016 in Kraft gesetzt.
Obwohl vom 18. Februar 2016 bis zum 4. März 2016 bereits eine Million Unterstützer*innen eine Petition gegen das Gesetz unterschrieben haben. Obwohl sich am 23. Februar 2016 10 Gewerkschaften (CFDT, CFE, CGC, CGT, FO, FSU, Solidaires, Unsa, UNEF, UNL, FIDL) einhellig gegen den Gesetzesentwurf aussprachen. Die Gewerkschaften, allen voran die CGT haben mehrfach zu Generalstreiks aufgerufen, an denen sich mehrere Millionen Menschen beteiligten und durch gezielte Blockadeaktionen Seehäfen, Flughäfen, Autobahnen, Universität und Raffinerien blockiert haben und sogar den Druck und die Auslieferung von Tageszeitungen verhinderten, die sich weigerten Stellungnahmen der Gewerkschaften wiederzugeben. Obwohl sich am 31.März mit den Nuit debout (Die Aufrechten der Nacht) eine soziale Bewegung, zuerst auf dem Place de la République in Paris und anderen Städten des Landes jeden Abend und in der darauf folgenden Nacht bis zu 1,2 Millionen Menschen beteiligten. Solidaritäts-Nuit-debout in 35 Ländern unterstützten diesen Protest. Die Protestbewegung verkündete in ihrem Selbstverständnis ihre antirassistische, antiklassizistische, antisexistische, demokratische, inklusive, feministische und antiableistische Grundhaltung und grenzte sich klar von allen reaktionären Kritiken ab. Obwohl Medienschaffende unter dem Motto: „On vaut mieux que ça“ (Wir sind mehr wert) das Gesetz kritisierten und zehntausende persönliche Stellungnahmen gegen die Reform online stellen. Onlineforen haben die Konvergenz der Kämpfe betont und sich auch mit illegalisierten und diskriminierten Menschen solidarisch erklärt. Landesweite Videokonferenzen und als Vollversammlungen auch für die wenigen zugänglich die nicht an Protesten auf den Straßen teilnehmen konnten. Der Onlineaktivismus hat damit noch nie gekannte Ausmaße erreicht. Obwohl nach repräsentativen Umfragen 66% bis 90% der Bevölkerung dem Gesetz ablehnend gegenüberstanden und stehen, zeitweise die Zustimmung zur Regierung und dem Präsidenten nur noch knapp über 10% lagen.
Wir verurteilen das undemokratische Vorgehen der französischen Regierung. Francois Hollande, der in der Vergangenheit den § 49.3 der französischen Verfassung selbst als antidemokratisch bezeichnet hat, hat hier nichtsdestotrotz diesen Artikel, der die Inkraftsetzung von Gesetzen auch ohne Zustimmung des Parlaments erlaubt, angewendet. Seit nunmehr einem halben Jahr protestiert ein breites gesellschaftliches Bündnis, bestehend aus studentischen, gewerkschaftlichen, aber auch anderen gesellschaftlichen Gruppen, gegen das Gesetz. Dieses gegen den Willen der arbeitenden Menschen, der Jugend und der Erwerbslosen- gerichtete neoliberale Machwerk soll nach Einschätzung der Regierung die Arbeitslosigkeit bekämpfen, um den Preis einer massiven Verschlechterung der sozialen und beruflichen Absicherung.

Modifiziert wurden folgende Regelungen:

  • Auszubildende sollen bis zu 10 Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche arbeiten.
  • Der Urlaubsanspruch im Todesfall von Angehörigen entfällt.
  • Die Nachtarbeit ist unbeschränkt.
  • Der Zugang zu Teilzeitarbeit ist kein Recht mehr.
  • Die maximale Anzahl von Wochenüberstunden unterliegt keiner Beschränkung mehr.
  • Schulungszeiten im Unternehmen können nicht mehr als Arbeitszeit geltend gemacht werden.

  • Für die Berechnung der durchschnittlichen Arbeitszeit kann ein Zeitraum von bis zu 3 Jahren zugrunde gelegt werden.
  • Die Entschädigung bei ungerechtfertigter Entlassung wird auf 15 Monatsgehälter gedeckelt.

  • Die 11 Stunden Mindestruhezeit auf 24 Stunden sind nicht mehr bindend.
  • Die geplanten Änderungen umfassen u.a.:

  • Unternehmen dürfen ohne wirtschaftliche Not einen Sozialplan zur Entlassung und Frühverrentung nutzen.
  • Keine Mindestentschädigungen mehr im Falle ungerechtfertigter Entlassung.

  • Die gewerkschaftlichen Vertreter können durch Betriebsversammlungen überstimmt werden.
  • Das Urlaubsrecht zur Pflege von Angehörigen ist aufgehoben.

  • Betriebsärzt*innen sind nicht mehr dem Patient*innenwohl, sondern dem Unternehmen verpflichtet.

  • Das gesetzliche Recht auf Urlaub im Katastrophenfall ist abgeschafft.

  • Dauer und Umfang eines Sabbaticals sind nicht mehr gesetzlich garantiert.
  • Ausbildungsverträge können ohne Ausbildungspflicht der Arbeitgeber*in geschlossen werden.
  • Die jährlich vorgeschriebenen Lohnverhandlungen und -anpassungen können entfallen und müssen nur noch alle 3 Jahre bestätigt werden.
  • Die berufliche Ausbildung und Qualifikation wird steuerfinanziert.
  • Entlassungen können durch Standortverlegungen begründet werden.
  • Teilzeitarbeit darf abweichend bezahlt werden.
  • Die Frist für die Ankündigung einer Änderung der Arbeitszeit beträgt nur noch 3 Tage.
  • Urlaubsansprüche können bis zum Beginn des Urlaubs von Arbeitgeber*innen verschoben werden.
  • Unternehmensinterne Vereinbarungen haben nur noch 5 Jahre Gültigkeit.

  • Das Arbeitsamt kann ohne gerichtliche Überprüfung des Sachverhalts (wie bisher) bereits gezahlte Leistungen direkt vom Konto der Empfänger*in abbuchen.
  • Ablaufbedingte Wartezeiten werden als Ruhezeit betrachtet.
  • Die Entschädigungen im Falle von unzulässiger Kündigung oder Kurzarbeit sind nicht obligatorisch.
  • Kündigungen im Krankheits- oder Behinderungsfall werden vereinfacht.
  • Medizinische Untersuchungen sind nicht mehr berufsbedingt garantiert, stattdessen werden die Arbeiter*innen über Risiken informiert.
  • Die Wochenarbeitszeit kann bei einfacher Zustimmung von 44 Wochenstunden auf 46 erhöht werden.
  • Jedes Unternehmen kann bei Zustimmung vom Tarifvertrag abweichende Verträge schließen.
  • Ein*e Arbeitnehmer*in kann für das Ablehnen neuer oder abweichender Vertragsbedingungen entlassen werden.
  • Die maximale tägliche Arbeitszeit wird von 10 auf 12 Stunden erhöht.
  • Eine solche Reform ist offensichtlich nur ein neuer Beitrag zum Lohndumping in Europa und wird damit die Abwärtsspirale der Schlechterstellung der Vielen, die nicht mehr als ihre Arbeitskraft besitzen, verstärken, um Profite zu maximieren. Dies ist eine Entwicklung, die die derzeitige Krise der Arbeit schürt, um immer noch billiger produzieren zu können. Berufseinsteiger*innen und Student*innen trifft ein solches Gesetz und eine solche Entwicklung am härtesten. Gesellschaftlich bereits marginalisierte werden zusätzlich belastet – sodass es kein Wunder ist, dass gerade Schüler*innen und Student*innen den Protest anführen. Hunderttausende junge Menschen in ganz Frankreich haben sich gegen eine Zukunft in Prekarität und gegen eine Hire-and-Fire-Mentalität gestellt. Wir sind mit ihren Kämpfen für eine lebenswerte Zukunft solidarisch und unterstützen ihr Ziel, dass das Gesetz zurückgenommen wird. Wir sind uns der Bedeutung dieses Kampfes bewusst: Was hier verhandelt wird betrifft ganz Europa, auch unsere Zukunft steht auf dem Spiel: Werden unter dem Druck von Digitalisierung und Globalisierung arbeitsrechtliche Errungenschaften Schritt für Schritt abgebaut oder finden wir einen Weg, zumutbare und angemessen entlohnte Arbeitsverhältnisse trotz struktureller Veränderungen aufrechtzuerhalten bzw. zu schaffen?

    Die brutale Repression, die auf die Protest erfolgte, sich seit den Attentaten noch verstärkte und sich wahllos gegen Protestierende richtete (einige Menschen verloren ihr Augenlicht) verurteilen wir. Gerade Schüler*innen und Student*innen wurden ständig Opfer von Polizeigewalt.
    Aus diesen Grunden ruft der fzs auf:

  • Sich mit den Demonstrant*innen und Streikenden in Frankreich sowohl durch eigene Aktionen zu solidarisieren, als auch durch Praktische Hilfe z.B. spenden.
  • Die Vernetzung mit den StudiGewerkschaften, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen voranzutreiben.
  • Student*innenprojekte, welche eine internationale, solidarische Kooperation zwischen Arbeitnehmer*innen und Student*innen fördern, zu unterstützen.