Stellungnahme des fzs zur Bolognafolgekonferenz in London

Stellungnahme des fzs zur Bolognafolgekonferenz vom 16.-18. Mai 2007 in London im Mai 2007

Bis zum Jahr 2010 sollte der europäische Hochschulraum durch den Bologna Prozess verwirklicht werden. Von den Zielen, die 1999 formuliert wurden, sind die Hochschulen jedoch noch weit entfernt. Mehr Transparenz, eine bessere Vergleichbarkeit von Studienleistungen, eine erhöhte Mobilität für Studierende, Lehrende und Hochschulpersonal und die Berücksichtigung sozialer Aspekte im Hochschulbereiches sollten in Europa an der Tagesordnung sein. Im Zuge der Reformen sind jedoch immer häufiger alte hochschulpolitische Vorhaben durchgesetzt worden, die mit den eigentlichen Zielen nichts gemein haben. In Deutschland kennzeichnen eine weitgehende Verschulung der neuen Studiengänge, z.B. durch Anwesenheitspflicht und Prüfungsakkumulation, restriktive Zulassungsregelungen zu den Studiengängen und neue finanzielle Hürden die Umsetzung des Bologna Prozesses.

Probleme der Umsetzung des Bologna Prozesses

Im Wintersemester 2006/7 gab es über 3.000 Bachelorstudiengänge und mehr als 2.000 Masterstudiengänge an den Hochschulen der BRD. Das sind 45% des gesamten Studienangebots, der Anteil an Bachelor- oder Masterstudiengängen hat sich seit 2004/5 verdoppelt. In diesem Zeitraum ist gleichzeitig die absolute Anzahl an Studiengängen gesunken. Die unzureichende Hochschulfinanzierung hat vielerorts zu deutlichen Einschnitten geführt, bei denen kleinere Studiengänge Profilbildungen zum Opfer fielen und Studienplätze zwecks Verbesserung der Betreuungssituation abgebaut wurden.

Gleichzeitig mit der Strukturreform ist auch der Zugang zur Hochschule vielen potenziellen Studierenden verschlossen worden. Lediglich 35% aller Bachelorstudiengänge in der BRD haben keine Zulassungsbeschränkung. Betrachtet man die „alten“ Studiengänge, so sind 48% ohne Zulassungsbeschränkung. Das heißt, dass die Reformen, die ohne zusätzliche finanzielle Mittel durchgeführt werden müssen, in erster Linie zu einer stärkeren Auswahl der Studierenden führen. Dies schlägt sich auch in den StudienanfängerInnenzahlen nieder. Im Jahr 2003 haben 38,9% eines Altersjahrgangs ein Studium aufgenommen, zum Jahr 2007 ist hier ein Rückgang um 3,5 % zu verzeichnen.

Die Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern hat ebenfalls ihren Teil zu der sinkenden Anzahl an ErstsemesterInnen beigetragen. So rückt Deutschland von dem Ziel, die Studierendenzahlen auf mindestens 40 % zu erhöhen immer weiter ab. Eine Negativtendenz lässt sich in diesem Zusammenhang bereits jetzt erkennen Während die MinisterInnen der sogenannten „Bolognaländer“ in der Vergangenheit sowohl die staatliche Verantwortung für die Hochschulbildung herausgestellt, als auch die bestehenden sozialen Ungleichheiten als Problem erkannt haben, laufen die politischen Entscheidungen in Bund und Ländern diesen Erkenntnissen völlig zuwider.

Die staatliche Studienfinanzierung ist auf dem gleichen Niveau wie 2001. Auch die letzte BAföG-Novelle hat kaum erkennbare Verbesserung gebracht, durch Inflation bekommen die Studierenden faktisch deutlich weniger Unterstützung als vor sechs Jahren.

Gleichzeitig hat mit der Einführung von Studiengebühren in mehreren Bundesländern eine weitgehende Privatisierung der Studienfinanzierung eingesetzt. Bildungskredite, durch die eine geringere soziale Selektivität suggeriert werden soll, zwingen jedoch die Studierenden faktisch sich langfristig zu verschulden.

Auch der Übergang zwischen Bachelor und Master fördert neue Auswahlmechanismen zutage. Der Bachelorabschluss garantiert nicht, auch ein Masterstudium aufnehmen zu können. Fehlende Finanzmittel und politischer Wille führen zu einer geringen Anzahl an Masterstudienplätzen und vermehrten Auswahlverfahren. Im Wintersemester 05/06 waren 30 % der Studierenden in BA/MA Strukturen, jedoch davon nur 14,7% im einem Masterstudiengang immatrikuliert. Ergänzend dazu gab es im gleichen Jahr 1.659 Master- und 2.138 Bachelorstudiengänge. Damit wird der Bachelor zum Regelabschluss, der auch nach 8 Jahren immer noch um die Akzeptanz bei Studierenden und in der Berufswelt ringen muss. Außerdem wird er nicht zur Schnittstelle, um Studierenden mit Abschluss internationale Mobilität zu ermöglichen.

Die den Bologna Prozess begleitenden Reformen finden in erster Linie strukturell und formal statt. Eine inhaltliche und gesamtgesellschaftlich geführte Debatte um eine Studienreform, sowie eine inhaltliche Umsetzung wie der fzs sie fordert, bleibt jedoch aus. Die neuen Abschlüsse erfordern jedoch ein schlüssiges Gesamtkonzept, um den Studierenden eine zukunftsorientierte Bildung zu ermöglichen. Gerade in staatlich regulierten Berufen sind die gesetzlichen Einstellungsvoraussetzungen derzeit völlig unzureichend. Der Bachelorabschluss wird nicht als vollwertiger Abschluss anerkannt und die zu erreichende Gleichstellung von Fachhochschul- und Universitätsabschlüssen insbesondere beim Zugang zum öffentlichen Dienst durch unterschiedliche Entgelteinstufungen konterkariert.

Zukünftige Anforderungen an den Bologna Prozess

Soziale Dimension

1. Eine kontinuierliche Datenerhebung im Rahmen des Eurostudent Project ist unabdingbar, um belastbare und vergleichbare Daten zu erhalten, die Aufschluss über die soziale Situation der Studierenden geben. Diese Daten müssen perspektivisch in allen Unterzeichnerstaaten des Bologna Prozesses verfügbar sein. Nur so können Entwicklungen beobachtet werden, Auswirkungen von Reformen verfolgt werden und Ansatzpunkte für Verbesserungen gefunden werden. Bereits existierende soziale Ungleichheiten müssen auf Basis dieser Daten bekämpft werden.

2.Das Stocktaking des Bologna Prozess, in dessen Rahmen die Entwicklungen der Reformen in den einzelnen Staaten alle zwei Jahre verfolgt werden, muss auch im Bereich der sozialen Dimension stattfinden und darf nicht auf Aspekte der Mobilität reduziert werden. Fragen der finanziellen Situation der Studierenden, zum Beratungs- und Informationsangebot und zur Bildungsbeteiligung müssen im Rahmen der Stocktaking Score Card auftauchen und in die Bewertung der Umsetzung des Bologna Prozess einfließen.

3.Die Frage der Studienfinanzierung muss der zentrale Punkt im Rahmen eines so genannten „Nationalen Aktionsplans“ (NAP) jedes Landes zur Stärkung der sozialen Dimension werden. Finanzielle Aspekte sind die größten Hürden zur Aufnahme eines Studiums, beim Verbleib an der Hochschule und hinsichtlich der Mobilität der Studierenden. Eine gesicherte staatliche Studienfinanzierung Die Staaten müssen bis 2009 konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation ihrer Studierenden vorschlagen und durchführen.

4.Ein klares Bekenntnis zum offenen Hochschulzugang muss konstituierend für den europäischen Hochschulraum sein. Der Zugang zu Bildung trägt maßgeblich zur Demokratieentwicklung bei. Durch den Bologna Prozess dürfen keine neuen Hürden entstehen, sondern bestehende müssen abgebaut werden. Die Kontrollmechanismen, die im Rahmen der Bologna Struktur bestehen, müssen die Reformen der Unterzeichnerstaaten hinsichtlich dieser Frage untersuchen.

5.Im Zuge des Lebenslangen Lernens müssen Teilzeitstudienmöglich-keiten und Bildungsangebote für Berufstätige entwickelt werden. Um Studienwilligen einen zeitweiligen Ausstieg aus dem Beruf zu ermöglichen, muss die staatliche Finanzierung des Studiums auch nach dem 30. Lebensjahr noch möglich sein und aktiv gefördert werden. Bei der Entwicklung eines übergreifenden Qualifikationsrahmen für alle Bildungsbereiche muss die höhere Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungsbereichen das zentrale Ziel sein. Nur so kann ein fließender Übergang zwischen Berufstätigkeit, Weiterbildung und Hochschule erreicht werden sowie das Lebenslange Lernen ermöglicht werden.

Qualitätssicherung

1.Der Vorschlag, ein europäisches Register von Qualitätssicherungsagenturen als neutrales Informationstool zu nutzen, muss zielorientiert umgesetzt werden. Das Register muss sicherstellen, dass die europäischen Standards in der Qualitätssicherung, auf die man sich geeinigt hat, umgesetzt werden. Bei der Umsetzung des Vorhabens dürfen bereits bestehende Instrumente, wie die European Standards and Guidelines (ESG) nicht vernachlässigt werden. Das Register muss in den kommenden Jahren kritisch begleitet und evaluiert werden.

2.Die Regierungen müssen die Standards und Guidelines, auf die man sich 2005 geeinigt hat, in ihrer nationalen Gesetzgebung umsetzen. Weiterführend müssen rechtliche Voraussetzungen für die Qualitätssicherung geschaffen werden, nur so kann langfristig eine Basis des Vertrauens und damit eine einfachere Anerkennung von Studienleistungen und Abschlüssen gewährleistet werden.

3.Die European Standards und Guidelines (ESG) müssen regelmäßig durch die E 4 überprüft und weiterentwickelt werden. Auch auf europäischer Ebene kann die Qualität von Hochschulbildung und ihre Sicherung nur als Prozess verstanden werden, der stetig fortgeführt werden muss. Die Anwendung der ESG muss regelmäßig überprüft und werden, sowohl durch die Länder, als auch durch die Agenturen und die Hochschulen selber.

4.Die Geschlechtergerechtigkeit muss in den Fokus der Qualitätssicherung gerückt und als zentraler Aspekt verstanden werden. Während in der Bachelorphase noch 48 % der Studierenden weiblich sind, zeichnet sich im Master und in der Promotionsphase eine deutliche Verringerung der Partizipation von Frauen ab. So waren im Wintersemester 2005/2006 in Masterstudiengängen lediglich 40 % Frauen eingeschrieben. Hochschulen und Akkreditierungsagenturen müssen geschlechterspezifische Auswirkungen des Bologna Prozesses als Kriterium der Qualitätssicherung von Hochschulbildung Bildungseinrichtungen ansehen und aktiv beim Zugang und in den Programmen selbst verankern. Perspektivisch sind die ESG diesbezüglich zu überarbeiten.

Mobilität

1.Die Bologna Staaten müssen gemeinsam Vorschläge zur Lösung von immer wieder auftauchenden Visa-Problemen entwickeln. Studierende aus Nicht-EU Ländern stehen durch aufenthaltsrechtliche Probleme zunehmend vor Mobilitätsproblemen. Die gegenwärtige Ungleichheit zwischen EU und Nicht-EU Ländern im Bologna Prozess muss abgeschafft werden und um eine Gleichbehandlung aller zu erreichen. Der Europäische Hochschulraum darf sich weder intern in bessere und schlechtere Länder spalten, noch darf er sich gegenüber Studierenden und Lehrenden außerhalb Europas abschotten. Die Regierungen der Unterzeichnerstaaten haben die Verantwortung, die bestehenden Probleme zu lösen.

2.Die formale Ratifizierung der Lisbon Recognition Convention bedeutet keinesfalls eine wirkliche Umsetzung der Prinzipien, die in der Vereinbarung niedergelegt sind. Die Erleichterung der Anerkennung von Studienleistungen und -abschlüssen muss vor allem nach der Föderalismusreform in der Landeshochschulgesetzgebung und beim Zugang zu staatlich regulierten Berufen klar geregelt werden. Durch die Vereinbarung soll die Anerkennung von Studienleistungen vereinfacht werden. Mindestens alle Bologna Unterzeichnerstaaten müssen die Prinzipien der Lisabon Vereinbarung zur Grundlage ihrer Gesetzgebung machen, um den Studierenden zu ermöglichen, dass Studienleistungen aus Auslandsaufenthalten oder Abschlüsse in anderen Ländern vollwertig anerkannt werden.

3.Die Förderung von Mobilität muss sowohl qualitativ als auch quantitativ systematisch untersucht werden. Die Datenerhebung zur sozialen Situation der Studierenden muss auch Informationen zur Mobilität beinhalten. Hindernisse und Abschreckungsmechanismen können nur erkannt werden, wenn verlässliche Informationen über Gründe und Motivation der Studierenden vorliegen.

Implemtierung des European Credit Transfer and Accumulation Systems (ECTS)

1.In Deutschland ist das Konzept der Lernziele (Learning Outcomes) und der Paradigmenwechsel „shift from teaching to learing“ noch nicht hinreichend verstanden. Modulbeschreibungen enthalten Inputangaben und verpflichtende Forderungen von Anwesenheit in konkreten Veranstaltungen anstatt kompetenzorientierte Lernziele. Die verantwortlichen Institutionen wie Hochschulen, KMK, Fachgesellschaften und Zusammenschlüsse sind aufgefordert, transparente und konsistente Lernziele in Zusammenarbeit mit den Studierenden und betroffenen InteressenvetreterInnen zu formulieren.

2.Die Instrumente des ECTS sind in Deutschland noch nicht flächendeckend angewendet. Learning Agreement, Course Catalogue, Diploma Supplement und Transcript of Records sind nach internationalen Vereinbarungen umzusetzen und den Studierenden und Lehrenden als elementarer Bestandteil der Studienreform verständlich zu machen.

Mitbestimmung stärken

Die Bologna-Communiques weisen Studierende zwar als gleichberechtigte PartnerInnen aus, dies ist aber in der Realität noch nicht der Fall. Der fzs wehrt sich gegen eine selektive und Alibi-Beteiligung von Studierenden an Entscheidungsprozessen und fordert einen Abbau der Hierarchien und eine Demokratisierung der Gremienstrukturen.

Aus Sicht des fzs besteht eine große Diskrepanz zwischen den politischen Willensbekundungen und den tatsächlichen Entscheidungen und Entwicklungen im Hochschulbereich. Der Bologna Prozess muss als Anlass für eine qualitative Reform der Hochschulbildung genommen werden, um das bestehende diskriminierende und selektive Hochschulsystem zu wandeln. Die Verbesserung der Hochschulbildung und der klare Fokus auf die öffentliche Aufgabe der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft durch emanzipatorische und selbstbestimmte Bildung muss der zentrale Punkt aller Reformen sein.

Beschlossen auf am 14. April 2007 durch den 31. Ausschuss der StudentInnenschaften in Bielefeld