Soziale Dimension als integraler Bestandteil der Akkreditierung

Die soziale Dimension ist nicht erst seit dem Kommuniqué von London ein fester Bestandteil des Bologna Prozesses, aber seit diesem Kommuniqué liegt eine Definition der sozialen Dimension vor. Eines der großen Ziele das damit verbunden ist, ist die Forderung, dass die Zusammensetzung der Student*innenschaft die Zusammensetzung der Gesamtgesellschaft widerspiegeln soll. Damit ist sowohl eine Öffnung des Hochschulzugangs im Sinne eines Rechts auf Bildung für Alle und nicht bloß repräsentativ für bestimmte soziale Gruppen, als auch der Abbau sozioökonomischer Barrieren verbunden.

Liest mensch die offiziellen Dokumente der Staaten des Bologna Raumes, so scheint es keinen Verbesserungsbedarf zu geben bzw. nur marginale Nachbesserungen nötig zu sein. Die Realität indes sieht völlig anders aus. Nicht nur, dass wesentliche Ziele bis heute nicht erreicht wurden, wie beispielsweise die Öffnung und Flexibilisierung des Hochschulzugangs, auch das Interesse der politischen Akteur*innen schwindet. Ursachen hierfür sind unter anderem, dass einzig die Nationalstaaten für Sozialpolitik verantwortlich sind und dass Sozialpolitik immer auch mit der Bereitschaft öffentliche Gelder einzusetzen verbunden ist. Grundsätzlich wäre es von Nöten eine Neudefinition der sozialen Dimension vorzunehmen bzw. sie entsprechend zu ergänzen, so dass konkrete und verpflichtende Zielvorgaben vorhanden sind. Damit dies allerdings möglich wird, muss die seit langem bekannte Tatsache eines Mangels von vergleichbaren Daten im Europäischen Hochschulraum behoben werden. Aber nicht nur die direkten politischen Akteure müssen handeln, auch im Bereich der Akkreditierung bieten sich Möglichkeiten die soziale Dimension zu realisieren.

Ein Einbezug von sozialen Kriterien in die Akkreditierung würde zum einen ermöglichen bestehende Missstände aufzudecken und zum anderen Druck auf die jeweiligen Strukturen ausüben, die Missstände zu beheben. Derzeit beschäftigten sich die verschiedenen Formen der Akkreditierung, also z.B. System- oder Programmakkreditierung, lediglich mit dem Studiengang selbst und seinen Inhalten. Aber was nützt der „ideale“ Studiengang, wenn er anschließend nur wenigen Menschen die Möglichkeit bietet ein Studium aufzunehmen und zu bewältigen? Damit ein Studiengang „studierbar“ ist, benötigt es neben den fachlichen Inhalten eine Berücksichtigung von sozialen Bedürfnissen. Damit Hochschulbildung tatsächlich all jenen die Interesse und Fähigkeiten haben offen steht ist es notwendig Kriterien zu entwickeln. Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften fordert deshalb alle Beteiligten auf klare und verbindliche soziale Standards in der Akkreditierung festzulegen!

Bereiche für die soziale Standards festgelegt werden müssen sind:

Studium ohne Behinderung

Menschen werden durch soziale Normsetzung behindert und damit behindert gemacht. Diese soziale Praktik darf nicht fortgeführt und muss auch durch studentisches Handeln durchbrochen werden. Nach wie vor sind viele Hochschulen nicht barrierefrei. Beispielhaft hierfür ist die Rollstuhlfahrer*innen feindliche Gestaltung vieler Hochschulen, welche noch immer nicht genügend Aufzüge und Rampen zur Verfügung stellt. Dies ist nur eines von vielen Beispielen. Damit auch alle Menschen mit Behinderung das Grundrecht der Freizügigkeit und der freien Berufswahl ungehindert nutzen können, müssen die Rahmenbedingungen durch die Gesellschaft für körperlich und geistig behinderte Menschen in den einzelnen Studiengängen laufend überprüft werden.

Studium und Sorge für Andere:

Studiengänge müssen so gestaltet sein, das Studierende die für Andere Sorge tragen sowohl die Möglichkeit haben ihren Lebenserwerb zu sichern, als auch sich intensiv mit der Person, für die sie Sorge tragen zu beschäftigen. Damit dies aber möglich wird, muss eine Flexibilisierung des Studiums gewährleistet werden. Dabei darf die Flexibilisierung nicht zu einer zusätzlichen Verlängerung führen, wie es derzeit an vielen Hochschulen zu beobachten ist, wo Teile des Studiums nicht kontinuierlich angeboten werden. Sinnvoll wäre in diesem Sinne eine vermehrte Konzentration auf Student Centred Learning. Neben den Maßnahmen die innerhalb der Studienganggestaltung ergriffen werden können, ist aber auch das Lebensumfeld zu beachten. Hierzu zählen unter anderem flexible Kinderbetreuungsangebote, die sich nicht auf Kernzeiten beschränken.

Psychosoziale Belastung

Jeder Mensch ist einzigartig, nur im Studium sind sie alle gleich. Dies ist ein Paradoxon, denn die Bedürfnisse und Kapazitäten einzelner Individuen sind so verschieden, dass es keinen universalen Studiengang geben kann, der allen gerecht wird. Die derzeitige Realität allerdings geht mehrheitlich davon aus, dass alle Menschen im gleichen Maßen den Anforderungen und Zielsetzungen eines Studiengangs gerecht werden. Dies führt dazu, dass immer mehr Studierende dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind oder aber sie ihr Studium beenden müssen, weil sie die Anforderung von Beruf und Studium nicht erfüllen können. Ein Studium muss die Möglichkeit bieten individuelle Bedürfnisse zu erfüllen und eine Persönlichkeitsentwicklung nicht auszuschließen. Studierende müssen das Recht haben ihr Studium nach ihren Fähigkeiten zu gestalten. Da die Bundesregierung sich noch immer nicht in der Lage sieht eine eltern-, herkunfts- und altersunabhängige, als Vollzuschuss gestaltete Studienfinanzierung zu implementieren, muss auch die Arbeitsbelastung durch den Lebenserwerb als Bestandteil des Workloads berechnet werden.

Regelstudienzeit

Derzeit dient das Konzept der Regelstudienzeit als repressives Instrument zur Selektion Studierender. Die normativ festgelegten Regelstudienzeiten bilden nicht einmal empirisch feststellbare Studiendauer ab, sondern werden politisch zur Maßregelung und Selektion Studierender gesetzt und eingesetzt. Dieses Repressionsmittel gilt es, den Herrschenden zu entziehen und die Diskurshegemonie der Subjektivierungsform des unternehmerischen Selbst nach kapitalistischer Verwertungslogik zu brechen. Eine Auffassung von Regelstudienzeit als Garantie von Rechten für Studierende hat sich als undurchsetzbar erwiesen. Daher lehnt der fzs das Konzept der Regelstudienzeit ab und fordert stattdessen eine Abschaffung jeglicher repressiver Studienzeitbegrenzungen im Verein mit der weitgehenden Einlösung einer staatlichen Garantie des individuellen Rechts auf Bildung für Alle als gesellschaftlicher Aufgabe durch eine Studienfinanzierung durch studienzeitunabhängigen Vollzuschuss. Gleichzeitig muss für Studierende bei Aufnahme des Studiums ein Recht begründet werden, ihr eigenes Studium auch nach eigenen Neigungen, Wünschen und Bedürfnissen freiwillig und selbstbestimmt zu gestalten.

Lehrmittel

Lehrmittelfreiheit, wie sie früher durchaus in Schulen üblich war, sollte auch für Studierende gelten. Dazu gehört unter anderem die kostenlose Bereitstellung aller für das Studium bzw. für die Persönlichkeitsentwicklung benötigten Literatur und Materials. Hierzu zählt ebenso die Einrichtung einer umfassenden Wissenschaftsklausel im Urheberrecht, damit zukünftig allen Studierenden ein ungehinderter Zugang zur Information möglich ist.

Studierendenwerke

Auch die Arbeit und die Angebote der Studenten- und Studierendenwerke und ähnlicher Institutionen muss Bestandteil der Akkreditierung sein. Dazu ist es grundlegend, dass die Studi*Werke an sozialen Interessen ausgerichtet sind und ökonomische Belange sekundär betrachtet werden. Grundlegende Aufgabe der Studierendenwerke ist es bedarfsdeckenden, günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und den Studierenden eine kostengünstige und vollwertige Ernährung zu bieten.

Ausländische Studierende

Ausländische Studierende sind mit einer Vielzahl von zusätzlichen Problemen konfrontiert. Dies muss in den einzelnen Studiengängen berücksichtigt werden. Damit beispielsweise Nicht- Muttersprachler*innen partizipieren können sind kostenfreie Sprachkurse unerlässlich. Im Zuge der Globalisierung sollte das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten sowohl in der Landessprache, als auch in englisch ermöglicht werden.

Mobilität

Studentische Mobilität ist ein beliebtes politisches Thema, nichts desto trotz ist sie für viele Studierende noch immer nicht möglich. Der Bereich der Mobilität bietet eine Vielzahl von Baustellen, so ist z.B. die Anerkennung von Leistungen noch immer ein Problem. Besonders absurd hier ist es, dass viele Hochschulen nur das anerkennen, was sie selbst auch anbieten. Einen wirklichen inhaltlichen Gewinn kann so studentische Mobilität nicht bringen. Daneben fehlt es aber auch an kostenfreien Sprachkursen, damit sich Studierende auf ein Auslandsstudium vorbereiten können. Die Mobilität innerhalb des sogenannten Geltungsbereiches des sogenannten Grundgesetzes der sogenanten BRD stellt einen Sonderfall dar, werden die aktuellen Entwicklungen weiter vorangetrieben, wird es für Studierende in der Zukunft wahrscheinlich einfacher sein ins Ausland zu gehen, als das Bundesland oder innerhalb eines Bundeslandes zu wechseln.

Öffnung der Hochschulen

Studiengänge müssen auch für Menschen mit heterogenen Bildungsbiographien offen sein. D.h. in der Entwicklung von Studiengängen muss auch bedacht werden, wie Menschen ohne Abitur oder Quereinsteiger*innen aus dem Berufsleben in den Studiengang integriert werden können. Möglichkeiten hierfür wären zum Beispiel eine Berücksichtigung von „Prior Learning“ (also das Wissen, was z.B. in der Berufsausbildung erworben wurde) und die Anerkennung von außercurricularen Leistungen. Öffnung der Hochschulen bedeutet aber auch, dass soziale Mobilität ermöglicht wird und Hochschulen ein Ort der sozialen Inklusion sind. Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften fordert nicht nur für den sogenannten Geltungsbereich des sogenannten Grundgesetzes für die sogenannte BRD einen Einbezug von sozialen Kriterien, sondern für den gesamten Bologna-Raum, damit die soziale Dimension nicht ein leeres Versprechen bleibt, sondern tatsächlich Menschen nach Fähigkeiten und Interessen gefördert werden.

Beschlossen von der MV in Würzburg 2011.