Die 39. Mitgliederversammlung des freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) verurteilt das Verhalten von Bundesregierung und Bundesrat bezüglich des BAföG-Änderungsgesetzes und des nationalen Stipendienprogramms aufs Schärfste.

Das durch Bundesregierung und Bundesrat beschlossene Gesetz zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms ist eine prestigesteigernde Maßnahme für Hochschulen in strukturstarken Regionen, die unter dem Vorwand einer Verbesserung der Studienfinanzierung durchgesetzt wurde. Das Stipendienprogramm verschärft das bestehende Ungleichgewicht zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen, da die Einrichtung der Stipendien von privaten Investoren abhängig ist. Finanzstarke Regionen sind schon jetzt für StudentInnen mit niedrigen finanziellen Möglichkeiten kaum attraktiv, da Mieten und Lebenshaltungskosten im Vergleich wesentlich höher sind. Dies führt dazu, dass in Regionen, in denen Stipendien zu erwarten sind, beispielsweise wesentlich weniger BAföG-EmpfängerInnen leben. Somit werden durch diese Maßnahme nicht die Schwachen gefördert, sondern die Reproduktion der Elite weiter verstärkt.

Unerhört ist hier vor allem das Verhalten der Bundesregierung, die in Torschlusspanik, in Bezug auf sich verändernde Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, kurzfristig die komplette staatliche Finanzierung in Höhe von 300 Millionen Euro übernommen und zeitgleich die für den 01. Oktober 2010 geplante BAföG-Novellierung verhindert hat. Dies zeigt mehr als deutlich, dass hinter den angeblichen Verbesserungen nicht der Wunsch steht, die Finanzierungssituation von StudentInnen zu verbessern, sondern es einzig und allein um politische Machtspiele der schwarz-gelben Koalition geht.

Frau Schavan verkauft das Stipendiensystem als glorreiche Ergänzung der bestehenden Studienfinanzierungsinstrumente. In Wahrheit handelt sich aber um den Beginn vom Ende: Die Bundesrepublik Deutschland verfügt mit dem Bundesausbildungs-förderungsgesetz über eines der wirksamsten Studienfinanzierungsinstrumente. Es ist unverständlich, dass dieses Breitenförderungsinstrument, wovon die breite Masse der StudentInnen profitiert, unterfinanziert bleibt und ein hochselektives Instrument als obligatorisches Novum dargestellt wird.

Es ist nicht verwunderlich, dass das Bundesministerium kurz nachdem das nationale Stipendienproramm Bundestag und Bundesrat passiert hat, die angedachte Förderungsquote deut-lich gesenkt hat. Schon von Beginn an haben BefürworterInnen und KritikerInnen unisono die Realisierbarkeit der angestrebten Förderungsquote bestritten. Allen AkteurInnen war also bewusst, dass es um völlig andere Zahlen ging als von schwarz-gelb behauptet. Die Mitgliederversammlung nimmt auch hier das falsche Spiel und das mangelnde Interesse an StudentInnen empört zur Kenntnis.

Das NatStipG und der Widerspruch zum Bologna-Prozess

Bundesregierung und Bundesrat zeigen durch ihr Handeln deutlich, dass sie dem Bologna-Prozess gegenüberstehen wie ein Fähnchen im Wind. Einerseits befürwortet man in der Theorie eine Steigerung der studentischen Mobilität, andererseits verhindert das Stipendienprogramm praktisch genau diese. Gefördert werden können nur diejenigen, welche in ihrem Studium nicht auf die Idee kommen, die Hochschule zu wechseln. Ob es dafür fachliche oder soziale Gründe gibt, spielt dabei keine Rolle.

Eine weitere Inkongruenz zeigt sich, wenn man das Stipendienprogramm auf die vereinbarten Ziele der sozialen Dimension prüft: Im Kommuniqué von London wurde festgehalten, dass die Hochschulen ein Abbild der Gesamtgesellschaft darstellen sollen und der Zugang zum Studium unabhängig von sozialen und wirtschaftlichen Kriterien erfolgen soll. Dieses Ziel kann über den Weg eines Stipendienprogramms nicht erreicht werden. Das NatStipG enthält keinerlei Rechtsanspruch auf die Förderung, so dass die StudentInnen einer völligen Unsicherheit überlassen werden. Dies ist umso dramatischer, wenn man bedenkt, dass gerade sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen auf eine sichere Studienfinanzierung angewiesen sind. Da die Stipendien eine reine Leistungsförderung darstellen, erhöhen sie den ohnehin gestiegenen Leistungsdruck der StudentInnen und führen somit zu einer Zunahme von Problemen und psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.

Privatwirtschaftlicher Einfluss vs. Demokratie

Die Ökonomie darf bei 2/3 der Mittel entscheiden, welche Fachrichtungen und Studiengänge gefördert werden. Dies hat zur Folge, dass lediglich Anreize für direkt zu Kapital verwertbaren Studiengängen geschaffen werden. Außerdem ist so eine Einflussmöglichkeit auf Studieninhalte möglich. Diese Gefahr besteht insofern, als GeldgeberInnen durchaus in der Lage sind, ihre Gelder an Bedingungen zu knüpfen. De facto kann man davon ausgehen, dass die Stipendien zu 50% direkt vom Staat finanziert werden und die 50% der privaten GeldgeberInnen noch zu Steuermindereinnahmen führen. Es scheint unter demokratie- und staatstheoretischen Gesichtspunkten bedenklich, dass in der Tendenz nicht mehr der Souverän die Entscheidungen trifft, sondern diese Befugnis dem Kapital überträgt. Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften lehnt diese antidemokratische Entwicklung aufs Schärfste ab.

Breitenförderung statt Elite

Das BAföG ist ein äußerst wirkungsvolles Instrument um soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu verwirklichen. Deshalb fordert die 39. Mitgliederversammlung in aller Deutlichkeit, das 23. BAföG-Änderungsgesetz nach folgenden Mindestanforderungen zu überarbeiten und dann schnellstmöglich zu beschließen:

• Herkunftsunabhängigkeit

Der fzs fordert den vollen Bildungszugang für alle Menschen, unabhängig von der familiären oder regionalen Herkunft. Zu diesem Zwecke bedarf es einer entsprechenden eltern- und herkunftsunabhängigen staatlichen Studienförderung.

• Bedarfsdeckende, automatische und jährliche Anpassung der Förderhöhen und Bedarfssätze

Eine gesetzlich verankerte, jährliche Anpassung der Förder-höhen und Bedarfssätze an die allgemeine Preisentwicklung ist ein notwendiger Schritt, um das BAföG regelmäßig an die Lebensbedingungen der StudentInnen anzupassen und somit seine Wirksamkeit zu erhalten. Außerdem würde so eine Möglichkeit geschaffen, die derzeit stattfindenden Machtspiele zu verhindern.

• Vollzuschuss

Das BAföG wurde 1971 als Vollzuschuss konzipiert. Eine Rückkehr zu diesem Konzept ist notwendig, um eine Über-schuldung der StudentInnen zu vermeiden und die gesamt-gesellschaftliche Aufgabe der Erhöhung der Bildungsbeteiligung von Menschen aus finanzschwachen bzw. bildungsfernen Schichten zu erhöhen.

• Ausreichend hohe Freibeträge

Viele BAföG-EmpfängerInnen sind zur Erwerbstätigkeit ge-zwungen, da die durchschnittliche Förderungshöhe nicht zur Bedarfsdeckung ausreicht. Die derzeit gewährten Freibeträge von 255€ sind definitiv zu niedrig angesetzt.

• Studierende mit Kind

Für Studierende mit Kind müssen ausreichend Nachteils-ausgleiche geschaffen werden, um entstehende Mehrfachbelastungen abzumildern.

• Dauerhaftigkeit der individuellen
Studienfinanzierungs-möglichkeiten Die Förderungsdauer muss an die Realität der StudentInnen angepasst werden. Eine einfache Möglichkeit wäre hier, die Dauer der Förderung an die tatsächliche durchschnittliche Studienzeit des jeweiligen Studienfaches anzugleichen.

• Altersunabhängigkeit

Um ein lebenslanges Lernen tatsächlich zu ermöglichen ist es von Nöten, die Altersbeschränkungen aufzuheben.