Hochschulen sollten Orte politischer Bildung sein. Diese Feststellung ist wichtig, denn aktuell kommt diese Funktion vielerorts zu kurz. Der aktuelle 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung hat sich auf politische Bildung fokussiert. Er macht zeigt große Defizite bei der Verankerung politischer und demokratischer Bildung in den Curricula und im Hochschulalltag auf. Der fzs stellt deshalb aus aktuellem Anlass fest, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist, wenn Hochschulen tatsächlich ein ernstzunehmender Ort politischer, gar demokratischer Bildung sein sollen. Hochschulen sind ein Ort, der erst relativ spät in der Jugend besucht wird. Wie politische Bildung dort stattfindet und stattfinden könnte ist deshalb immer auch davon abhängig, welche Erfahrungen Student*innen in den etwa 18-19 Jahren vor dem Studienbeginn machen konnten. Gleichzeitig sind Hochschulen gerade wegen der Altersspanne der meisten Student:innen zwischen Jugend und Erwachsenenalter extrem wichtig für die politische Bildung. Es ist deshalb notwendig, diesen Fokus in der Hochschul- und Bildungspolitik stärker zu verankern.
Verankerung Politischer Bildung in den Studieninhalten
Fachinhalte & politische Bildung:
Politische Bildung wird in vielen Studiengängen auf Zusatzqualifikationen/ überfachliche Punkte etc. ausgelagert. Dadurch verpasst man, das eigene Fach hinreichend in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Ein Problem, das über Studieninhalte hinausgeht: Bei vielen Hochschulangehörigen herrscht ein Geist vor, der Hochschulen als vom Rest der Gesellschaft abgekapselte Orte begreift. Durch die Verankerung politscher Bildung im Fach selbst kann dieses auch selbst besser in seinem gesellschaftlichen Kontext eingebettet werden.
Überfachliche Studieninhalte ermöglichen:
Die Möglichkeit zur Wahrnehmung „überfachlicher“ Angebote im Rahmen des Curriculums unterscheidet sich zwischen Studiengängen, Hochschulen und Hochschularten massiv. An Hochschulen für angewandte Wissenschaft gibt es häufig gar keinen frei wählbaren Studienteil. An Universitäten unterscheidet sich der Umfang stark, teilweise sind die Wahlmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Um allen Student:innen politische Bildung zu ermöglichen, unabhängig ihrer Situation oder ihres Fachs und ihres Studienstandorts, müssen in allen Studiengängen überfachliche und allgemeinbildende Teile integriert sein. Das heißt, Leistungspunkte für eine möglichst große Auswahl überfachlicher Veranstaltungen erwerben zu können. Ist dies nicht der Fall, wird damit Student:innen, die unter zusätzlicher (zeitlicher) Belastung stehen, weil sie einer Lohnarbeit, Pflege- oder Betreuungsverpflichtungen oder anderen Aufgaben neben dem Studium nachgehen müssen, der Zugang zu solchen Angeboten erschwert bis unmöglich gemacht.
Angebot überfachlicher Veranstaltungen verbreitern:
Überfachliche Angebote dürfen nicht nur auf Praxisbezug und „Karriere“-Coaching ausgerichtet sein. Insbesondere solange Absolvent:innen gezwungen sind, auf einem wettbewerbsbasierten Arbeitsmarkt miteinander zu konkurrieren, haben auch solche Veranstaltungen keinen Platz im Angebot der Hochschulen. Darüber dürfen Hochschulen aber auf keinen Fall ihre vorrangige Aufgabe vergessen: freie Lehre und Forschung. Überfachliche Angebote müssen deshalb breit aufgestellt sein und in Studiengänge integrierbar sein.
Studentische Selbstverwaltung stärken, für das allgemeinpolitische Mandat!
Politische Bildung an Hochschulen ist ausdrücklich nicht auf die institutionelle Lehre begrenzt. Studierendenschaften sind selbst für politische Bildung verantwortlich. Sowohl Studierendenvertretungen als auch studentische Gruppen und Initiativen leisten einen Großteil des außercurricularen Bildungsangebots an Hochschulen. Als Teil der Zielgruppe wissen sie am besten, welche Angebote nützlich sind, welche Veranstaltungen gefragt sind. Alle Landeshochschulgesetze, außer das bayerische, geben den verfassten Studierendenschaften deshalb auch explizit die Aufgabe, politische Bildung zu betreiben. Für den fzs ist schon lange eindeutig, was auch der 16. Kinder- und Jugendbericht fordert: Es muss überall eine selbstständige, verfasste Studierendenschaft mit einem allgemeinpolitischen Mandat geben. Denn politische Bildung passiert nicht nur in formalisierten, angeblich neutralen Räumen. Politische Bildung bedeutet Politisierung. Neben einer soliden Informationsgrundlage und der Fähigkeit zur kritischen Reflexion sind politische Veranstaltungen deshalb ein essenzieller Bestandteil politischer Bildung, insbesondere an den Hochschulen. Studierendenvertretungen müssen deshalb in der Lage sein, zu jedem Thema zu sprechen, ohne Repressionen befürchten zu müssen.
Zur politischen Bildung gehören untrennbar Partizipationsmöglichkeiten und Selbstbestimmung. Das Fehlen eines allgemeinpolitischen Mandats nimmt Studierendenschaften viele dieser Möglichkeiten.
Der Streit um das Mandat öffnet jene willkürliche und realitätsferne Dichotomie zwischen Hochschule und dem Rest der Gesellschaft, an der auch Lehre, Forschung und Hochschulgremien so oft leiden. Studierende als gesellschaftliche Gruppe existieren nicht nur innerhalb der Wände von Vorlesungssälen, ihre Meinungsbildung als Gruppe muss daher auch über diese Grenzen hinausgehen. Durch die Ausweitung der Möglichkeiten der Studierendenvertretung steigt ihre Relevanz und damit, so hoffen wir, auch die Beteiligung an den demokratischen Prozessen innerhalb der Studierendenschaft. Dies wiederum fördert die politische Bildung der Studierenden.
Im Zusammenhang mit der Debatte um das Mandat der Studierendenschaften verurteilen wir deutlich Angriffe auf deren freie Meinungsbildung und -äußerung durch staatliche Stellen, Hochschulen und auch studentische Gruppen. Durch die willkürliche Begrenzung von Mitbestimmungsrechten und Meinungsäußerungen wird letztlich Demokratie und Selbstbestimmung beschnitten. Insbesondere Rufe einzelner studentischer Gruppen nach Repressionsmaßnahmen oder gar völliger Abschaffung der verfassten Studierendenschaften zeigen einen antidemokratischen Geist, der der Aufgabe demokratischer politischer Bildung entgegen steht.
Demokratisierung der Hochschulen als Voraussetzung demokratischer Bildung
Wer über demokratische Bildung an Hochschulen redet, muss auch von der Hochschulstruktur an sich reden. Denn Hochschulen sind keine demokratischen Orte. Existierende Beteiligungsmöglichkeiten der verschiedenen Statusgruppen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidung letzlich bei einer der kleinsten Gruppen jeder Hochschule, der Professor:innenschaft, liegt. Grund dafür ist die Kopplung der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 GG an diese Gruppe, obwohl ihr der Großteil der Wissenschaftler:innen nicht angehört. Dieses Verständnis ist das Überbleibsel der Ordinarienuniversität, die allgemeinhin als in den 1970er Jahren (in Westdeutschland) abgeschafft gilt.
Wir wollen akademische Freiheit weiter, demokratischer verstehen, nämlich als Selbstbestimmung der Hochschulen über sich selbst, durch all ihre Mitglieder. Die Gruppen der Hochschule sind dabei von verschiedenen Entscheidungen unterschiedlich stark betroffen. Das soll sich auch in den Entscheidungsgremien widerspiegeln. Bei jedem Thema soll/en die Gruppe/n, die am unmittelbarsten betroffen ist/sind, auch maßgeblich für die Entscheidung sein. Für Studierende bedeutet das, in allen Gremien, die sie betreffen – und diese gehen weit über Studienkommissionen hinaus – nennenswert beteiligt zu sein. In den Gremien, die sie am stärksten betreffen, müssen sie die größte Gruppe stellen.