Reform der Studienfinanzierung

1. Momentane Studienfinanzierung

Die Studienfinanzierung der StudentInnen in der Bundesrepublik stützt sich im wesentlichen auf drei Säulen. Neben den aufgeführten drei Säulen existieren noch einige andere Finanzierungssysteme (Kredite oder nichtstaatliche Stipendien), die allerdings nur eine geringe Bedeutung für die Masse der StudentInnen haben. Transfers von den Eltern

Zum einen erhalten die meisten StudentInnen Zuwendungen von ihren Eltern. Dies macht einem immer größer werdenden Teil der verwendeten Mittel aus. Damit wird die finanzielle Situation der Eltern für die Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen, immer wichtiger. Dies führt in der Konsequenz dazu, daß die Kinder aus einkommensschwächeren Familien (besonders Arbeiterinnenkinder) einen geringer werdenden Anteil unter den StudentInnen ausmachen. In der Zeit von 1982 bis 1991 sank der Anteil der StudentInnen aus „niedrigen sozialen Herkunftsschichten“ (Zitat HIS) von 23% auf 15%; dieser Trend hält ungebrochen an. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Studienanfängerinnen eines Jahrganges sowie der Anteil der Frauen an allen StudentInnen liegt nach wie vor unter dem jeweiligen Anteil der Männer.

Erwerbsarbeit

Die zweite immer wichtiger werdende Säule der Studienfinanzierung ist die eigenständige Erwerbsarbeit. Kein anderer Bereich der Studienfinanzierung ist in den letzten 20 Jahren so rasant gewachsen wie der der Erwerbsarbeit. Während 1967 nur 24% der StudentInnen während des Semesters gearbeitet haben (45% in der vorlesungsfreien Zeit), waren dies 1991 bereits 57% (61 % in den Ferien). Studentinnen haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als Studenten. Außerdem werden sie im Durchschnitt niedriger entlohnt. Mit der Zuspitzung der Arbeitsmarktsituation ist zu erwarten, daß Studienfinanzierung immer weniger über Erwerbsarbeit gesichert werden kann. Zudem wurde zum 1.1.1994 das Bundeskindergeldgesetz (BKGG) dahingehend geändert, daß Einkünfte der Studierenden auf die Leistungen nach dem BKGG angerechnet werden. Ab 750,- DM Bruttoeinkommen oder 610,- DM Nettoeinkommen aus staatlichen Zuschüssen (Stipendien, Zuschußanteil der Leistungen nach dem BAföG) monatlich entfällt für den betreffenden Monat der Anspruch auf Kindergeld. Nach Berechnungen des DSW können einer Familie Einkommenseinbußen bis über 500,- DM entstehen.

Staatliche Transfers

Die Einführung des BundesAusbildungsförderungsGesetzes (BAföG) war eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Öffnung der Hochschulen und die Integration größerer Teile der Bevölkerung. Kurz nach der Einführung des BAföG (73) lag die Förderungsquote noch fast bei 50% der StudentInnen. Diese Quote ist seitdem ständig zurückgegangen und hat 1988 mit 22,6% einen Tiefstand erreicht. Seitdem ist die Förderungsquote wieder etwas gestiegen (auf 27% in 91) (aus 13. Sozialerhebung des DSW). Diese Quote umfaßt allerdings alle StudentInnen, die Leistungen nach dem BAföG erhalten. Nur ein kleiner Teil dieser Geförderten erhält dabei den Höchstsatz. Die Änderung des BKGG betrifft jene StudentInnen am härtesten, die aufgrund besonderer Umstände einen höheren Zuschußanteil erhalten: behinderte Studierende, Studierenden mit Kind(ern), Studierende während des Auslandsaufenthaltes.

Der zweite wichtige Bereich staatlicher Transfers sind die Transfers an die Familien der StudentInnen. Dieser Bereich der „Studentlnnenfinanzierungen“ wird traditionell von studentischer Seite unterschätzt. Diese Familientransfers sind allerdings sehr bedeutsam, da sie im Mittel ca. 400 DM pro Studi betragen.

2. Probleme bei der Studienfinanzierung

Die momentanen Quellen der Studienfinanzierung weisen verschiedene Schwächen auf. Bei einer starken Elternabhängigkeit der Studienfinanzierung ist vor allem ein Ausschluß größer werdender Bevölkerungsteile zu erwarten. Dieser Trend ist auch jetzt schon zu beobachten. Darüber hinaus führt diese Form der Studienfinanzierung auch zu einer sozialen Abhängigkeit, die mit dem Anspruch der eigenständigen Entwicklung der Studierende letztlich nicht in Einklang zu bringen ist. Aus der Praxis der Sozialreferate ist darüber hinaus auch das Problem bekannt, daß viele Studierende nicht gegen ihre Eltern klagen wollen, um die ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten. Dies führt oft zu erheblichen Finanzierungsproblemen. Eine Studienfinanzierung über Erwerbsarbeit ist mit erheblichen Verlängerungen der Studienzeit verbunden. Dies ist um so schwieriger, da immer öfter Überschreitungen der Regelstudienzeit Sanktionen nach sich ziehen. Dies reicht von höheren Beiträgen bei der Krankenversicherung (nach dem 14. Semester) bis hin zur Zwangsexmatrikulation in Bayern, BaWü und Mecklenburg-Vorpommern. Darüber hinaus verdrängen StudentInnen in der momentanen Situation auch andere ArbeitnehmerInnen bei der Suche nach Jobs, da ihre steuerlichen Bedingungen sie für die Unternehmen attraktiver machen. Dies ist um so fragwürdiger, da dieses Arbeitsmarktsegment besonders überlaufen ist. Auch bei der Studienfinanzierung über staatliche Transfers gibt es erhebliche Probleme. So sind die Bemessungsgrenzen für BAföG-Leistungen so eng gesetzt, daß viele StudentInnen aus einkommensschwachen Familien keine Förderung erhalten. Die unzureichende Anpassung der Freibeträge in den letzten 20 Jahren hat dieses Problem noch verschärft.

Auch das bekannte Problem des Mittelstandsloches, das Kinder aus FacharbeiterInnenfamilien faktisch von der Förderung ausschließt, resultiert aus dieser Fehlentwicklung.

Auch die Höhe der Bezüge ist ein Problem, da. die Anpassung der Förderungssätze in den letzten Jahren notorisch hinter der Preissteigerungsrate zurückgeblieben ist. Dies hat mittlerweile dazu geführt, daß einem realen Bedarf von ca. 1200 DM (laut DSW) eine Förderungshöchstsumme von 795 DM (mit allen Zuschlägen 940 DM) gegenübersteht. Da parallel zur BAföG-Förderung Erwerbsarbeit nicht möglich ist (ohne daß dies zu Kürzungen führen würde), kommt es in dieser Situation dazu, daß eine Lücke zwischen den Förderungssätzen und dem Bedarf entsteht, die nur durch illegale Erwerbsarbeit geschlossen werden kann.

Auch die familienorientierten Transfers weisen strukturelle Defizite auf. So führt das Steuerfreibetragselement im Rahmen der Transfers dazu, daß ein hohes Familieneinkommen zu einer höheren Gesamtforderung führt. (Dies resultiert aus der Tatsache, daß bestimmte Freibeträge von dem zu versteuernden Einkommen abgezogen werden und so bei einem hohen Steuersatz eine stärkere absolute Einsparung realisiert wird als bei einem niedrigen.) Dies steht im Widerspruch zu der Notwendigkeit, einkommensschwächere Familien stärker zu fördern.

Perspektiven der Studienfinanzierung

Neben einer Kritik des bestehenden Systems bzw. seiner Ausprägungen sollte eine studentische Position zur Studienfinanzierung auch Kriterien hierfür benennen.

Oberstes Ziel im Rahmen der studentischen Anforderungen muß die Chancengleichheit sein. Hierüber und über die Offenheit des Hochschulzugangs, auch und gerade unabhängig von sozialen Barrieren, müssen die konkreten Forderungen im Bereich der studentischen Sozialpolitik definiert sein. Aus diesen Grundsätzen ergeben sich folgende Anforderungen:

1. Das Studium muß elternunabhängig finanziert werden können.

Sowohl die oben beschriebenen Probleme mit dem Mittelstandsloch als auch der erhebliche Verwaltungsaufwand resultieren aus dem Prinzip der Elternabhängigkeit. Darüber hinaus steht die Auflösung der traditionellen Familienstrukturen, die immer weiter fortschreitet, im Widerspruch zu diesem Regelungsansatz.

2. Die Studienfinanzierung muß sich am realen Bedarf der Studierenden orientieren.

Hierzu können bspw. die Erhebungen des DSW genutzt werden oder auch ein Warenkorb-Modell, das die spezifischen Bedürfnisse von StudentInnen berücksichtigt. Alle Modelle, die nicht bedarfsorientiert sind, bergen die Gefahr, daß über diese Lücke der Zwang zur Erwerbsarbeit erhalten bleibt. Darüber hinaus eignen sich statisch festgeschhebene Bedarfssätze (z.B. qua Gesetz) nicht dazu, die Anpassung an die Teuerungsrate ausreichend flexibel zu gewährleisten.

3. Die Studienfinanzierungsdauer muß sich an der realen Studiendauer orientieren.

Faktisch wird zur Zeit über den Hebel eines Sozialgesetzes „Studienreform“ vorangetrieben. Da ein Studienfinanzierungssystem allerdings die Funktion haben sollte, allen Menschen ein Studium zu ermöglichen, kann es sich bei der Bemessung der benötigten Zeit nicht an den Ergebnissen der Schnellsten orientieren.

4. Langfristig soll ein Modell sozialer Grundsicherung für die gesamte Gesellschaft angestrebt werden, das nach dem Individualprinzip und nicht nach dem Subsidaritätsprinzip eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sichert.

Die ständische Verkürzung studentischer Sozialpolitik auf mehr BAföG kann in der gegebenen Angriffslage keine Perspektive sein. Um eine langfristige Verbesserung der sozialen Lage aller Menschen in der BRD zu erreichen, kann nur eine gemeinsame Perspektive aller unterprivilegierten Gruppen erfolgversprechend sein. Auf dem Weg zu diesem Ziel können unterschiedliche Zwischenziele sinnvoll sein. (Beispielsweise macht die gewerkschaftliche Strategie, zu einer „bedarfsorientierten Mindestsicherung“ zu kommen, in diesem Kontext Sinn.)

Konkrete Reformvorstellungen DSW-Modell

Um die oben benannten Ziele erreichen zu können, wird es notwendig sein, eigene Konzepte zu entwickeln und andere Reformvorstellungen zu bewerten. Hierbei sollte die (auch kurzfristige finanzielle) Realisierbarkeit solcher Modelle durchaus eine Rolle spielen. In diesem Sinn kommt dem Modell einer Studienfinanzierung, welches das DSW vertritt, eine wichtige Rolle zu. Dieses Modell sieht eine Sockelfinanzierung von ca. 400 DM für alle Studierenden vor. Darüber hinaus soll bis zu dem Bedarfssatz von 1200 DM ein dem BAföG ähnliches Modell greifen. Bei diesem Teil wäre ein Teil der Zahlungen elternabhängiges BAföG (50% Stipendium) und bei höherem Elterneinkommen zinsbegünstigter Kredit (bzw. eine Mischung aus beiden bei den mittleren Einkommen).

Negative Kritik am DSW-Modell:

An erster Stelle steht hier die Problematik der elternabhängigen Förderung, die sich an dem Begriff „Mittelstandsloch“ manifestiert. Die Gewährung von Ausbildungsförderung bleibt eine Frage der Höhe der Elternfreibeträge; das Subsidaritätsprinzip bleibt erhalten.

Mit der Möglichkeit, bei zu hohem Elterneinkommen einen zinsbegünstigten Kredit zu erhalten, soll dieser Problematik entgegnet werden. Damit wird jedoch dem Prinzip der Individualsicherung keineswegs entsprochen. Die KreditnehmerInnen sind die Studis, die letztendlich direkt für ihre Ausbildung zahlen müssen. Hinter dieser Konzeption steht die Prämisse, daß diejenigen die Kosten tragen müssen, die den Nutzen haben. Das Kosten-Nutzen-Argument wird dabei unzulässig verkürzt, da sich der Wert von Bildung nicht auf eine individuelle Kosten-Nutzen-Kalkulation reduzieren läßt, sondern gesamtgesellschaftlich zu bemessen ist.

Bisher ist die Vergabe von Ausbildungsförderung an dem Kriterium der „Leistung“ gekoppelt. Nach dem BAföG können z.B. nur diejenigen weitergefördert werden, die nach dem vierten Semester einen Nachweis über einen den üblichen Kriterien entsprechenden Leistungsstand erbringen können. Der Grad der „Leistung“ spielt im BAföG ebenfalls in der Phase der Rückzahlung eine Rolle. So können besonders schnelle Studis sowie die jeweils Besten eines Jahrganges teilweise von der Rückzahlung befreit werden. „Leistung“ wird als individuelle Fertigkeit definiert, womit ignoriert wird, daß sogenannte Leistungsindikatoren wie Studiendauer und Abschlußnote im hohen Maße von den Studienbedingungen abhängen.

Positive Kritik des DSW-Modells:

Wie leicht erkennbar ist, wird dieses Modell nicht allen benannten Anforderungen gerecht. Es hat allerdings den Vorteil, daß z.B. der gesamte 400-DMSockel darüber finanziert werden könnte und daß die Familien-Transfers hierüber direkt an die Studierenden gezahlt würden. Insofern kommt diesem Modell als Ausgangspunkt für eine studentische Perspektive eine hohe Bedeutung zu. Darüber hinaus behebt diese Modell auch die Ungerechtigkeiten, die bei der momentanen Form des Familientransfers entstehen (s.o.)

Kurzfristige Zielstellung sollte es demzufolge sein, ausgehend von diesem Ansatz eine Reformierung der Studienfinanzierung zu erreichen. Von dort aus lassen sich Ziele wie Elternunabhängigkeit und angemessen lange Auszahlung der Förderung wesentlich leichter durchsetzen.

Beschlossen auf der 2. MV in Rostock, November 1994