Stipendien und soziale Selektivität

Ein Stipendiensystem, insbesondere wenn es sowohl zur Finanzierung des Lebensunterhalts als auch zur Finanzierung etwaiger Gebühren herangezogen wird, stellt einen klaren Gegensatz zu der vom fzs geforderten elternunabhängigen, bedarfsdeckenden und vor allem rechtlich garantierten Studienfinanzierung dar. Der fzs warnt insbesondere davor, dass Stipendienmodelle die soziale Selektivität des Bildungssystems noch weiter verschärfen werden.

Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften lehnt grundsätzlich eine auf Stipendienmodellen basierende Studienfinanzierung ab. Ein Stipendiensystem, insbesondere wenn es sowohl zur Finanzierung des Lebensunterhalts als auch zur Finanzierung etwaiger Gebühren herangezogen wird, stellt einen klaren Gegensatz zu der vom fzs geforderten elternunabhängigen, bedarfsdeckenden und vor allem rechtlich garantierten Studienfinanzierung dar. Der fzs warnt insbesondere davor, dass Stipendienmodelle die soziale Selektivität des Bildungssystems noch weiter verschärfen werden. Thesen zur Begründung

  • 1. Die für den Erhalt eines Stipendiums geforderte „besondere Leistung“ rekurriert häufig auf eine herrschende Logik und damit auf herrschende Erfolgskriterien. Beispiele wären hier ein schnelles und geradliniges Studium oder auch die (Erfolg versprechende) Orientierung an einem wissenschaftlichen oder politischen Mainstream. So wird die strukturelle Benachteiligung nicht aufgehoben und werden ungleiche Chancen nicht ausgeglichen. Wer aufgrund Schichtzugehörigkeit oder anderer Faktoren höhere Hürden überwinden muss und somit vielleicht für die eine oder andere geforderte Leistung länger braucht, weil Sprachschwierigkeiten auftreten oder der Zugang zu bestimmten Bereichen schwerer fällt, hat kaum eine Chance, die Stipendienkriterien zu erfüllen. Die soziale Selektionswirkung von Auswahlmechanismen ist durch sozialwissenschaftliche Studien klar belegt.
  • 2. Der fehlende Rechtsanspruch bei Stipendien führt zu einer verunmöglichten Studienplanung – wer nicht weiß, ob ihm oder ihr die „Gnade“ eines Stipendiums zuteil wird und wann diese „Gnade“ wieder aufgehoben wird, wird sich schwerer mit der Entscheidung für einen weiteren (Aus)bildungsschritt tun. Für Menschen aus finanzschwachen Familien folgt daraus nicht nur massive Verunsicherung: Wenn die materiellen Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist die Bildungsbeteiligung schlicht unmöglich.
  • 3. Stipendien fördern die Konkurrenzsituation unter Studierenden. Es werden diejenigen gefördert, die sich gut und besser gegen die anderen durchsetzen konnten. Anstelle eines Studiums, das die einzelnen unter einen individuellen Konkurrenzdruck stellt, setzt sich der fzs für eine solidarische Gestaltung des Wissenschaftsprozesses ein. Ziel muss es sein, miteinander zu lernen, nicht gegeneinander.
  • 4. Der fzs setzt sich dafür ein, die durch ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung entstandenen unterschiedlichen Bedingungen der Einzelnen durch gezielte Förderungen benachteiligter Gruppen auszugleichen. Diese Forderung wird durch ein stipendienbasiertes Studienfinanzierungsmodell nicht erfüllt. Selbst die staatlich finanzierten Studienstipendien, die durch die Berücksichtigung des Elterneinkommens sicherstellen, dass Studierende aus einkommensstarken Haushalten keine Stipendien erhalten können, gewährleisten keinen Rechtsanspruch auf Studienfinanzierung. Auch sie stellen damit einen Rückschritt zum bestehenden BAföG dar. Um unterschiedliche Einkommensgruppen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit gemäß zu berücksichtigen, bietet das allgemeine Steuersystem bessere Möglichkeiten.
  • 5. Auch auf den ersten Blick positive Kriterien wie z.B. die Berücksichtigung von ehrenamtlichem Engagement können die Stipendienvergabe nicht weniger sozial selektiv gestalten: Ehrenamt kostet Zeit – Zeit, die Studierende, die sich beispielsweise selbst finanzieren, oftmals nicht haben.
  • 6. Das existierende Stipendienwesen, in dem einige weltanschaulich und interessenpolitisch gebundene Stiftungen mittels staatlicher Finanzierung Studienförderung betreiben, macht Bildungsfinanzierung von Maßstäben einflussreicher gesellschaftlicher Interessengruppen abhängig. Der Ausbau dieses Stipendienwesens, wie er aktuell von Unternehmen und reichen Einzelpersonen gefordert wird, könnte diese Zugangskontrolle durch private GeldgeberInnen erhöhen. Bisher stellt es lediglich eine Ausnahme dar.
  • 7. Würde ein auf Studienfinanzierung ausgerichtetes Stipendiensystem aufgebaut, hätte dies eine Dominanz privatwirtschaftlicher Stiftungsangebote zur Folge. Damit würden primär Unternehmensinteressen über die Bildungsförderung entscheiden, was bei der aktuell nur marginalen Bedeutung der StipendiengeberInnen für die Studienfinanzierung nicht der Fall ist.

Beschlossen auf der AS-Sitzung in Köln, März 2005