Stellungnahme zur Novelle des Mutterschutzgesetzes

Einleitung

Der freie zusammenschluss von student*innenschaften e.V. begrüßt als bundesweiter Dachverband von Student*innenschaften grundsätzlich die Überlegungen zur Novellierung des Mutterschutzgesetzes.

Der Schutz vor Gefährdung und Kündigung durch Arbeitgeber*innen ist heute noch ebenso wichtig wie schon vor über hundert Jahren. Allerdings haben sich seither und auch seit den 50er Jahren die Lebensumstände von Frauen* verändert. Dem wurde in der Weiterentwicklung des Gesetzes auch immer wieder Rechnung getragen, auch wenn gerade den Forderungen der Gewerkschaften, die besonders den Schutz der Arbeitnehmer*innen im Sinne hatten, leider nicht immer nachgekommen wurde. Gerade die Gedanken zur Erweiterung des Anwendungsbereiches auf Student*innen, Schüler*innen und Praktikant*innen haben uns dazu bewogen, zum Referent*innenentwurf und den im Anschreiben gestellten Fragen Stellung zu beziehen.

Die Neuregelung des Anwendungsbereichs sieht die Einbeziehung von arbeitnehmer*innenähnlichen Personen vor: Dieser Schritt ist aus unserer Perspektive äußerst sinnvoll, um eine Vereinheitlichung des Mutterschutzes in Bereichen zu erreichen, die mit abhängigen Beschäftigungsverhältnisses vergleichbar sind. Bedauernswert finden wir, dass die Bundesregierung zur Verschickung der Unterlagen noch keine zustimmende Entscheidung zur Einbeziehung von Schüler*innen, Praktikant*innen und Student*innen treffen konnte. Wir halten eine Einbeziehung dieser Personengruppen für dringend erforderlich, da das Fehlen einheitlicher Richtlinien in der Praxis zu einem arbiträren Umgang mit Schwangerschaft und Stillzeit führt. Dadurch sind die Betroffenen vielen Unsicherheiten und Unabwägbarkeiten ausgesetzt. In den folgenden Ausführungen werden wir uns vor allem auf den Bereich der Hochschulen und der entsprechenden Praktika beziehen, Analogien zum Schulbetrieb können allerdings gezogen werden. Uns ist bewusst, dass die Gesetzgebungskompetenz für Hochschulrecht ebenso wie für Schulrecht bei den Ländern liegt. Jedoch stellt sich die Frage, ob eine zentrale Regelung, die ggf. durch die Landeshochschulgesetze im Sinne dieser zentralen Regelung differenziert werden kann, nicht sinnvoller ist. Dafür spricht, dass es für abhängig Beschäftigte bereits Regelungen gibt, die in Teilen auf das Hochschulwesen für Student*innen übertragbar sind. Student*innen befinden sich in einer Situation, die zwar nicht gänzlich mit jener von abhängig Beschäftigten vergleichbar ist, jedoch ist der Studienalltag mittlerweile durch unzählige Maßnahmen geprägt, die eine Schwangerschaft während des Studiums zu einem Wagnis machen; sowohl in Hinblick auf den weiteren Studienverlauf, wie auch in Bezug auf die finanzielle Situation. Auch ist der Schutz vor Gefährdungen durch das Studium an sich nicht einheitlich geregelt und stellt sowohl Dozent*innen wie auch schwangere und stillende Student*innen sowie Wöchner*innen immer wieder vor Probleme. Zu beachten ist dabei, dass ein Studium auch dem Erreichen einer Qualifikation dient – im Gegensatz eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, dessen Ziel der Lohnerwerb ist – und somit andere Schutzbedarfe bei Student*innen und Praktikant*innen bestehen als bei Erwerbstätigen.

Allerdings ist im Allgemeinen anzumerken, dass seit den 1960er Jahren die Höhen von Mutterschaftsgeld und den gesetzlichen Anteilen des Mutterschaftslohns nicht angeglichen wurden. Dabei stiegen seit der Zeit die Lebenshaltungskosten. Eine Anpassung aller Zahlungen an aktuelle Verhältnisse ist also dringend erforderlich.

Mutterschutzgesetz für Schüler*innen, Student*innen und Praktikant*innen

Auch schwangere und stillende Schüler*innen, Student*innen und Praktikant*innen benötigen in ihrer Situation besonderen Schutz. Die Situation für schwangere und stillende Student*innen an Hochschulen ist nicht einheitlich geregelt und führt häufig zu Benachteiligungen und folgenschweren Umständen. Besonders betroffen sind aufgrund intensiver Laborarbeiten Student*innen in naturwissenschaftlichen und medizinischen Studiengängen, wie auch solche, die sich in einem Studium, einer Ausbildungsphase oder einem Praktikum mit einem hohen Maß an körperlicher Aktivität und/oder dem Einsatz von potenziell gefährdenden Stoffen, befinden. Allzu häufig herrscht Unwissenheit über die Rechte und Pflichten während der Schwangerschaft und der Stillzeit, die nicht selten zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Gefährdung von Schwangeren, Stillenden und den Kindern führt. Zwar gibt es viele gut gemeinte Hinweise; gerade Labore haben eigene Sicherheitsvorschriften, die die Betätigung von Schwangeren, Wöchner*innen oder Stillenden untersagen. Dennoch ist aus studentischer Perspektive schwer von einem Recht auf Schutz zu sprechen, dieses existiert schlichtweg nicht. Nicht hinnehmbar für Student*innen sind, durch den Unwillen der Hochschulen unverhältnismäßig verlängerte Studienzeiten, die sich durch den Wegfall von BAföG oder in einigen Bundesländern sogar in Langzeitstudiengebühren auswirken und damit die finanzielle Existenz der Betroffenen noch weiter gefährden. Aus Angst vor den finanziellen Folgen und dem Verlust des Studienplatzes leisten einige Student*innen sogar gefährdende Studienleistungen ab.

Weiterhin ist es wichtig, dass die Aufnahme von Schüler*innen, Student*innen und Praktikant*innen ihre Situation verbessert und nicht weiter verschlechtert. So kann ein vollständiges Studierverbot, sofern keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden, zum Verlust von Prüfungsansprüchen führen oder durch den Ablauf von Fristen innerhalb dieser Schutzfristen zum endgültigen Nichtbestehen von Abschlussprüfungen und damit zur bundesweiten Sperrung für bestimmte Studiengänge führen. Auch ist der Verlust von staatlichen Förderungen des Studiums zu befürchten, wenn die Einführung des Mutterschutzes für Student*innen nicht von entsprechenden gesetzlichen Neureglungen im Bereich der Studienfinanzierung flankiert wird.

Weiterhin sollte für Schüler*innen, Student*innen und Praktikant*innen auch das Mehr-, Nachts- und Sonntagsarbeitsverbot gelten. Beispielsweise Medizinstudent*innen sind während des Pflegepraktikums und der Famulaturen häufiger von Sonntagsarbeit betroffen. Dabei ist insbesondere das Pflegepraktikum nicht arbeitsrechtlich beschrieben. Für den Lernerfolg ist es irrelevant, ob die Tätigkeit unter der Woche oder am Sonntag verrichtet wird, sodass es hauptsächlich darum geht, schwangere und stillende Praktikant*innen vor einer unverhältnismäßigen Ausweitung der Arbeitszeiten zu schützen. Bei einer Ausweitung des Geltungsbereiches des Mutterschutzgesetzes auf Student*innen ist es unerlässlich, dass ein*e Student*innenvertreter*in stimmberechtigtes Mitglied im Ausschuss Mutterschutz ist. Dies erscheint zum einen notwendig, da gerade in der Umsetzung des MuSchG für den Hochschulbetrieb zahlreiche Fallstricke lauern, die eine kontinuierliche Begleitung des Umsetzungsprozesses indizieren. Zum anderen entspricht dies der Grundidee des geplanten Ausschusses (§ 25 MuSchG-E). Dabei muss darauf geachtet werden, dass sich durch die Vertretung im Ausschuss keine Nachteile für Student*innenvertreter*innen ergeben.

Insgesamt stehen wir einer solchen Ausweitung des Mutterschutzes auf Student*innen und Praktikant*innen sehr positiv gegenüber. Damit sich diese allerdings vorteilhaft und nicht nachteilig auswirkt, erachten wir die nachfolgenden Maßgaben als geboten:

Schutz vor Benachteiligungen im Studium

Der Erfolg des Studiums darf weder durch die Schwangerschaft an sich noch durch die Ausweitung des Mutterschutzgesetzes auf Student*innen geschmälert werden. Wie weiter oben erläutert bestehen bei Student*innen und Praktikant*innen andere Schutzbedarfe als bei Erwerbstätigen. In Bezug auf die Übernahme gefährdender Tätigkeiten ist das Schutzbedürfnis analog vorhanden. Allerdings ist bei Student*innen der Kündigungsschutz, sofern sie nicht auch abhängig beschäftigt sind, dem Schutz vor Benachteiligungen in der Studiengestaltung und der Studienfinanzierung nachrangig gelagert. So muss in unseren Augen rechtlich abgesichert werden, dass schwangere und stillende Student*innen sowie Wöchner*innen nicht zum Ablegen von Studienleistungen gezwungen werden können, die sie gefährden. Insgesamt ist eine Regelung zu begrüßen, die für die Dauer der in §15 Abs. 1 MuSchG-E und der eventuell in Anspruch genommenen Elternzeit sämtliche Fristen in Bezug auf das Studium und den in diesem Zusammenhang zu erbringenden Leistungsnachweisen aussetzt. Ebenfalls ist es an dieser Stelle erforderlich darauf hinzuweisen, dass äquivalente Studienleistungen, die durch die Schutzmaßnahmen von denen abweichen, die in den Studienordnungen vorgesehen sind, unbedingt anzuerkennen sind.

Finanzielle Sicherheit für Mütter während der Schutzfristen und anderer Beschäftigungsverbote

Es ist sicherzustellen, dass schwangere und stillende Student*innen, die unter Schutzfristen bzw. Arbeitsverbote des Mutterschutzgesetzes fallen, für diese Zeit ein ausreichendes Einkommen beziehen. Davon kann gegenwärtig leider nicht ausgegangen werden. Student*innen haben auch während der allgemeinen und individuellen Beschäftigungsverbote keinen ALG-II-Anspruch, der Schwangerenmehrbedarf des SGB II stellt nicht ansatzweise eine Grundversorgung sicher und über 20% der Student*innen erhalten keinen Unterhalt, über 70% kein BAföG. Insgesamt haben ca. 25% der Student*innen in der BRD weniger finanzielle Mittel als den BAföG-Höchstsatz zur Verfügung. Andere Arten des Einkommens sind in den meisten Fällen nicht möglich oder führen im Falle eines Studienkredits zu enormer Verschuldung. Das ist ein nicht zumutbarer Zustand. Häufig endet dies besonders bei Schwangeren, Wöchner*innen und Stillenden in einer äußerst prekären Lebenssituation weit unterhalb der Armutsgrenze. Wo das Geld derart fehlt, kann weder eine adäquate Versorgung der Betroffenen und des Kindes sichergestellt werden, noch davon ausgegangen werden, dass es um das seelische Wohlergehen der Betroffenen gut steht.

Zu überlegen wäre, ob diese eklatante Versorgungslücke von Student*innen innerhalb der Schutzfristen nach §3 Abs.1 und 2 während des Studiums nicht durch den Bezug einer Überbrückungshilfe in einer Höhe analog zu den Regelbedarfssätzen nach §28 SGB XII zu beheben ist. Was den Bezug des Mutterschaftsgeldes angeht, entsteht bei Student*innen eine ähnliche Versorgungslücke: Weder im Rahmen einer studentischen Familienversicherung noch im Rahmen einer studentischen Krankenversicherung haben Student*innen Anspruch auf die Zahlung von Krankengeld durch die gesetzlichen Krankenversicherungen. Demzufolge haben sie nach §24i SGB V keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld. Eine Übernahme des Mutterschaftsgeldes durch den Bund für Student*innen wie es bereits für Menschen getan wird, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankversicherung sind, ist hier in unseren Augen dringend geboten, um den Mehraufwand durch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu kompensieren.

Lehrende schützen

Weiterhin ist es auch aus studentischer Sicht äußerst wichtig, dass lehrende Schwangere und Stillende ausreichend geschützt sind. Der Großteil der Mitarbeiter*innen an Hochschulen ist, nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, nur befristet angestellt. Über die Hälfte der Betroffenen arbeitet nach Verträgen, die für unter ein Jahr befristet sind. Dies hat besonders für Schwangere, Stillende und Wöchner*innen schwerwiegende Folgen. Wie schon während der Novellierung des WissZeitVG fordert der freie zusammenschluss von student*innenschaften nun auch einen ausreichenden Schutz für Betroffene. Die prekäre Lage der meisten Lehrenden hat negative Auswirkungen auf die Lehre. Deswegen bedürfen gerade diese Arbeitnehmer*innen einen besonderen Schutz.

Weitere Aspekte

Unverständlich ist, warum einige Berufsfelder vom Verbot der Mehr-, Nachts- und Sonntagsarbeit befreit bleiben. Sofern dies nicht mit einem faktischen Arbeitsverbot einhergehen würde, sollte auch für diese Berufe das Verbot gelten. Besonders in Pflegeberufen herrschen ohnehin in Hinblick auf die Arbeitszeitgestaltung skandalöse Zustände. Die Ausnahme der Krankenpflege in Bezug auf die oben genannten Verbote verschlechtert die Situation für Pfleger*innen zusätzlich. Auch wäre eine Aufrechterhaltung der Ausnahmeregelungen für diese Berufsfelder für Student*innen im Praktikum nicht nachvollziehbar, da, wie ebenfalls weiter oben angerissen, das Lernziel auch ohne Mehr-, Nachts- und Sonntagsarbeit erreicht werden kann. Die Schutzzeit nach der Geburt sollte vor allem der Erholung der Mutter und dem Aufbau einer Bindung zum Kind gelten. Das Arbeitsverbot während der postpartalen Schutzfrist suggeriert allerdings vielen, dass auch die Sorge- und Pflegearbeit – natürlich unentgeltlich – Aufgabe der Wöchner*innen ist. Gerade in studentischen Kontexten ist der Anspruch auf eine Haushaltshilfe nach §24h SGB V nur wenig bekannt. Allerdings kann das auch daran liegen, dass Student*innen unterstellt wird, sie seien auch neben einem Vollzeitstudium und einer Nebenbeschäftigung, der über 60% der Student*innen nachgehen, in der Lage einen Haushalt mit einer hochschwangeren Person oder eine*r Wöchner*in und einem neugeborenen Kind zu stemmen. Hier wäre also die Bewilligungspraxis für Haushaltshilfen im Wochenbett zu überprüfen und gegebenfalls zugunsten von Student*innen und Praktikant*innen zu überarbeiten.  Neben der Möglichkeit, Haushaltshilfe in Anspruch zu nehmen, würden wir allerdings eine gesetzliche Grundlage wünschen, die bereits existente Praxen, wie soziale Elternschaft, gerade in Hinblick auf die prä- und postpartale Schonfrist berücksichtigt. So können Schwangere mitbestimmen, wer sie ganz konkret in der Schonfrist begleitet, ohne dass es für diese Begleitung unzumutbare finanzielle Einbußen zu befürchten gäbe. Denkbar wäre hier ein Modell, was dem der Elternzeit ähnelt, nur, dass es weder Trauschein, noch Adoption, das Innehaben des Sorgerechtes oder Verwandtschaft voraussetzt.  Hierbei ist uns besonders wichtig, dass so schon sehr früh Rücksicht auf die verschiedenen Lebensmodelle abseits der heterosexuellen Kern- und Kleinfamilie genommen wird, in denen Menschen heranwachsen. Der Anspruch an das Mutterschutzgesetz sollte sein, Mütter* in allen Lebenssituationen zu schützen. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die entsprechenden Begleitungen zusätzlich zur und nicht anstelle der Mutter* unter die Schutzfrist fallen. 

Abschließend wollen wir noch auf einige weitere Neuregelungen innerhalb des vorliegenden Entwurfes eingehen. Der Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt ist sehr begrüßenswert, allerdings ist für uns fraglich, warum dieser erst nach der 12. Schwangerschaftswoche ansetzt. Die gesundheitlichen und psychischen Folgen einer Fehlgeburt lassen sich nicht anhand ihres Zeitpunktes während der Schwangerschaft bemessen. Daher ist wünschenswert, dass nach jeder Fehlgeburt ein Kündigungsschutz vorhanden ist.

Ebenso erachten wir die Verlängerung der Schutzfrist auf zwölf Wochen nach §3 Abs.2 S.2 Nr.3 als sinnvoll.

Insgesamt begrüßen wir, der freie zusammenschluss von student*innenschaften, die Neuerungen, die im Referent*innenentwurf vorgesehen sind und befürworten ausdrücklich die Einbindung von Student*innen, Schüler*innen und Praktikant*innen in den Geltungsbereich des Gesetzes. Jedoch müssen bei dieser Einbindung die besonderen Lebensumstände der genannten Gruppen Berücksichtigung im Gesetz finden, so dass sie durch den Mutterschutz vor unbilligen Härten sowohl in Hinblick auf ihre Studiensituation wie auch in finanzieller Hinsicht geschützt sind.  Wir freuen uns über eine weitere Einbeziehung in diesen Novellierungsverfahren.