Zur anstehenden 17. BAföG-Novelle

Ausgangsposition

  1. 1. Die durch das BAföG geregelten Bedarfssätze und die Freibeträge für die Elterneinkommen sind seit dem Herbst 1992 nicht mehr erhöht worden. Die von der Bundesregierung jetzt angestrebte Novellierung soll im Herbst 1995 wirksam werden. In den letzten drei Jahren betrug die durchschnittliche Inflationsrate (Teuerung) in der Bundesrepublik 3,7 % pro Jahr‘. Für einen reinen Inflationsausgleich müßten die Bedarfssätze also um 1 1, 1 % erhöht werden.

Die Einkommen der Arbeitnehmerinnen stiegen um durchschnittlich 3,6 % im WeSten2und etwa 10 % pro Jahr3 im Osten Deutschlands. Die Eiternfreibeträge müßten demnach um 10,8 % angehoben werden, um die Einkommensentwicklung der letzten drei Jahre auszugleichen und einkommensschwächeren Schichten Zugang zum Studium zu ermöglichen.

  1. 2. Die maximal ausgezahlte Förderungssumme beträgt derzeit 940 Mark. Sie liegt damit deutlich unter den tatsächlichen studentischen Lebenshaltungskosten. Aus verschiedenen Berechnungen (DSW, GER ergeben sich für 1995 durchschnittliche Lebenshaltungskosten von 1.250 Mark.
  1. 3. Die Förderungssumme ist zur Hälfte von den Studentinnen zurückzuzahlen. Im Februar 1995 sind über eine Million ehemaliger Geförderter durchschnittlich mit 13.340 Mark beim Staat verschuldet. Die Einnahmen aus der Schuldrückzahlung dienen dem Haushaltsausgleich des Bundes, nicht etwa der BAföG-Finanzierung.
  1. 4. Die Zahl der Geförderten ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Zuletzt erhielten nur noch 20 %5 aller Studentlnnen BAföG (nach 24,1 % im Jahr davor). Ihre durchschnittliche monatliche Förderung beträgt 602 Mark 6im Westen und 498 Mark7 im Osten. Insgesamt erhalten von ihnen nur noch 27 % die Förderungshöchstsumme.
  1. 5. Der Bund hat seine Gesamtausgaben für das BAföG in den letzten 2 1/2 Jahren kontinuierlich gesenkt. Während sie 1992 noch 2,5311 Mrd. Mark betrugen, sanken sie über 2,29 Mrd. 19939 auf 2,01 Mrd. Mark 1994.
  1. 6. 70 % der Studentinnen in der BRD müssen neben ihrem Studium für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Dies trägt zu den relativ langen Studienzeiten in Deutschland bei.
  2. Aktuelle Mißstände beim BAföG Immer weniger BAföG-Berechtigte

Die Elternfreibeträge liegen viel zu niedrig. Nur noch ein Fünftel aller Studentlnnen sind überhaupt BAföG-berechtigt, wobei die allermeisten von ihnen auch nur einen Zuschuß erhalten. Die Folge ist das sogenannte’Mittelstandsloch‘. Zahlreiche Familien, deren Einkommen knapp oberhalb der Freibeträge liegt, müssen sich in ihrer Lebensweise stark einschränken, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen. Dies trifft jene Familien besonders stark, in denen mehrere Kinder studieren möchten. Sie können oft nicht allen Kindern ein Studium ermöglichen und sind gezwungen, eine Auswahl zu treffen.

Meist können diese Familien ihren Kindern den Lebensunterhalt während des Studiums nicht vollständig finanzieren. Die Kinder müssen deshalb während des Studiums arbeiten und sind gegenüber Studentlnnen aus reicheren Familien benachteiligt. Förderungssätze zu niedrig

Der im aktuellen BAföG festgelegte Bedarfssatz liegt (einschließlich aller möglichen Zusatzzahlungen) bei 940 Mark pro Monat. Dagegen betragen die tatsächlichen Lebenshaltungskosten während des Studiums 1995 1.242 Mark’0. Sie liegen damit 32% über dem BAföG-Satz.

In besonders augenfälliger Weise ist die Diskrepanz zwischen BAföG-Sätzen und Wirklichkeit bei den Mietzuschüssen zu erkennen. Deren maximale Höhe hat mit den Realitäten an den meisten Studienorten wenig zu tun. Insbesondere in Ballungszentren und typischen ‚Studentenstädten‘ zwingt die Wohnungsnot Studentinnen schon lange dazu, selbst für einzelne Zimmer Mieten zu akzeptieren, die weit über dem maximalen Mietzuschuß des BAföG liegen. Doppelte Auswirkung ausbleibender Anpassungen

Steigende Elterneinkommen bei gleichbleibenden Elternfreibeträgen haben zur Folge, daß die Zahl der Geförderten sinkt und daß diese zudem mit einer geringeren Summe gefördert werden. Dabei haben die Steigerungen der Einkommen in den letzten Jahren keinen realen Einkommensgewinn für die Eltern bedeutet, da ihnen eine Geldentwertung in gleicher Höhe entgegenstand. Zugleich verliert die eigentliche Förderungssumme für die Studentinnen als Folge der Inflation ebenfalls an Kaufkraft.

Das BAföG-System hat also zur Folge, daß sich die Auswirkungen der Inflation für Studentlnnen in der Regel doppelt auswirken“. Es muß deshalb selbstverständlich Minimalanforderung an jede BAföG-Novellierung sein, die Auswirkungen der Inflation und der Einkommensentwicklung in der BRD auszugleichen und die Freibeträge und die Bedarfssätze entsprechend der Realität anzupassen. Dabei ist klar, daß damit lediglich der ungenügende status quo der Studienfinanzierung durch das BAföG gesichert wird. Förderungshöchstdauer ist vollkommen unrealistisch

Die Förderungshöchstdauer des BAföG ist an die“Regelstudienzeiten“ geknüpft, die von den Hochschulen bzw. den Ländern festgelegt werden. Dies sind in keinem Fall mit mehr als acht Semester an Fachhochschulen und zehn Semester an Universitäten veranschlagt. Tatsächlich können nur etwa 10% der Studierenden 12 ihr Studium in dieser Sollzeit abschließen.

Dies wird sich nicht wesentlich verändern, solange nicht die Hochschulen entsprechend der Studentlnnenzahlen angemessen ausgestattet werden. Eine starre Festlegung der Förderungshöchstdauer wird außerdem den unterschiedlichen Biographien von Studentlnnen nicht gerecht. Alleinerziehende Studentlnnen benötigen beispielsweise für ihr Studium länger als Studentlnnen ohne Kinder. Ostdeutsche Studentlnnen werden benachteiligt

Der Anteil des BAföG für Mietausgaben liegt in Ostdeutschland um 64 % niederiger als im Westen. Wie die Bundesregierung jedoch selber feststellt, „sind die Kosten für studentischen Wohnraum dort vielfach ebenso hoch wie im Westen , zumindest aber haben sie das Westniveau mittlerweile annähernd erreicht. Die beim BAföG vorgenommene Diferenzierung entbehrt deshalb einer sachlichen Begründung.

Die Politik ist im Verzug

Für die Studentinnen und ihre Familien hat der Gesetzgeber nicht gesichert, daß die Höhe des BAföG zumindest regelmäßig der Entwicklung der Lebenshaltungskosten angepaßt wird. So wurde die fällige Anhebung im Herbst 1994 von der Bundesregierung abgelehnt. Zudem findet eine Änderung der Förderungsbeträge nur alle zwei Jahre und außerdem in unzureichender Höhe statt.

Die Folgen der Mißstände

Hauptziel bei der Einführung des BAföG 1971 war es, die Vision einer „Bildung für alle“ mit Leben zu füllen. Das BAföG sollte sicherstellen, daß alle Menschen, die studieren wollen, zumindest finanziell auch die Möglichkeit dazu bekommen sollen. Zu Beginn wurde das BAföG diesem Anspruch teilweise gerecht. Fast die Hälfte aller Studentlnnen wurde durch das BAföG unterstützt. Danach (und keineswegs erst seit der Regierungsübernahme durch die CDU / CSU und FDP 1982) wurde das BAföG als Studienfinanzierungssystem jedoch immer weiter ausgehöhlt. Die Quote der durch das BAföG geförderten Studentlnnen ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich zurückgegangen.

Heute, im Jahr 1995, gleicht das BAföG einem baufälligen Haus, bei dem die Fenster längst kaputt gegangen sind und bei dem es durch das Dach regnet, in dem aber immer noch Menschen leben müssen. Es weist zahlreiche gravierende Mängel auf und bedarf dringend einer Totalrenovierung.

Im einzelnen sind folgende Punkte zu benennen:

Allmähliche Reduzierung der Studentlnnenzahlen Der steigende finanzielle Druck auf Studierwillige und ihre Eltern beeinflußt in zunehmendem Maße deren Studienüberlegungen. Immer häufiger sind sie gezwungen, auf ein Studium zu verzichten.

Erwerbstätigkeit während des Studiums Aufgrund der Differenz zwischen den Kosten für Lebensunterhalt und Studium gegenüber der BAföG-Förderungshöhe und der zu geringen Förderungsquote muß ein Großteil der Studentlnnen (etwa 70 %) während des Studiums zusätzlich Geld verdienen.

Studienzeiten werden länger Infolge der Notwendigkeit zu zusätzlicher Erwerbsarbeit während des Studiums benötigen viele Studentlnnen für das Studium länger als von ihnen selber angestrebt. Dieser Effekt wird durch die in den meisten Fällen völlig unrealistische Förderungshöchstdauer verstärkt, die selbst ohne zusätzliche Erwerbstätigkeit im Studium oft nicht einzuhalten ist. Nach deren Ablauf muß gerade in der besonders schwierigen Prüfungs- und Abschlußzeit der Lebensunterhalt vollständig durch Erwerbsarbeit bestritten werden. Auf diese Weise sorgt die zu geringe Ausstattung des BAföG für eine erhebliche Verlängerung der Studienzeiten. Auch Studentlnnen, deren Studienfinanzierung durch BAföG und elterliche Unterstützung gesichert war, stehen nach Ablauf der Förderungsdauer vor ähnlichen Problemen.

Als Studienfinanzierungssystem, das soziale Chancengleichheit gewährleisten soll, versagt das real existierende BAföG. Es wird den finanziellen und sozialen Anforderungen einer Studienfinanzierung nicht gerecht und verlängert die Studienzeiten. Zur den geplanten Novellierungen der Bundesregierung

Keine der oben ausgeführten Mängel des BAföG versucht die Bundesregierung in ihrem neuen Vorschlag zur Novellierung zu beheben. Der Wille, das BAföG wieder stärker zu einem Instrument für die Herstellung von Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang und im Studium auszubauen, ist auch bei wohlwollender Betrachtung nicht erkennbar. Viele der hier angeführten Fakten sind auch in den Veröffentrichungen der Bundesregierung selber nachzulesen. Die Folgen ihrer Politik sind ihr bewußt. Die Erleichterung des Hochschulzugangs für bestimmte Bevölkerungsgruppen liegt nicht in ihrer Absicht.

Die BAföG-Politik der Bundesregierung zielt seit Jahren darauf ab, die Studentlnnenzahlen über einen Jahr für Jahr steigenden sozialen Druck allmählich herabzusetzen. Die immer stärkere Selektion der Studierwilligen bedeutet einen schrittweisen Widerruf der Offnungspolitik der Hochschulen Ende der siebziger Jahre. Konkrete Belege für die Richtung dieser Politik sind:

Die Anhebung der BAföG-Sätze ist zu gering Eine sofortige Anhebung sowohl der Bedarfssätze als auch der Elternfreibeträge in Höhe von jeweils 1 1 % (der lnflationsrate der letzten drei Jahre) ist unsere Minimalanforderung an die Novellierung. Die Bundesregierung plant dagegen lediglich eine Erhöhung sowohl der Bedarfssätze als auch der Elternfreibeträge um 4 % zum Herbst ’95.

Geplante Förderungshöchstdauer liegt sogar unter“Regelstudienzeiten“ Die Bundesregierung sieht eine generelle Beschränkung der Förderungshöchstdauer auf neun Semester an Universitäten und acht Semester an Fachhochschulen vor .

An Universitäten läge diese Förderungsdauer damit in vielen Studiengängen noch unter der Regeistudienzeit. Die Regelstudienzeit ist in der Realität lediglich eine Planvorgabe, die nicht eingehalten werden kann, da die Hochschulen unterfinanziert sind und ihre Ausstattung den tatsächlichen Studentlnnenzahlen nicht gerecht wird. Statt die Förderungsdauer den realen Studienzeiten anzugleichen, wird der Versuch gemacht, sie noch weiter einzuschränken. Zudem greift die Bundesregierung mit dieser Festlegung in die Gestaltungshoheit der Länder in der Bildungspolitik ein. Sie möchte durch den Druck auf einen kleinen Teil der Studierenden, die BAföG-Empfängerlnnen, eine bundesweite Regelstudienzeit von neun Semestern an den Universitäten gegen den Widerstand vieler Bundesländer durchsetzen.

Überflüssiger Leistungsnachweis

Auch die Einführung des umstrittenen Leistungsnachweises nach dem 2. Semester für BAföG-Empfängerlnnen will die Bundesregierung nach wie vor durchsetzen. Sie bezeichnet ihn als eine Zwangsberatung nach dem 2. Semester, nach der bei „mangelnder Eignung“ die BAföG-Förderung für die entsprechende Studienrichtung eingestellt werden soll“.

Meister-BAföG

Die vorgesehene Einführung des sogenannten Meister-BAföG begrüßen wir im Grundsatz, weil es zur Gleichbehandlung verschiedener Ausbildungsformen beiträgt. Die bisher bekannten Informationen lassen darauf schließen, daß es besser ausgestattet sein wird als das BAföG für Studentlnnen. So ist vorgesehen, das Meister-BAföG elternunabhängig zu gewähren und es auch den Erfordernissen einer Teilzeitausbildung anzupassen. Eine wirkliche Gleichbehandlung der Ausbildungswege strebt die Bundesregierung demnach offensichtlich nicht an.

  • 1992: 4,0 %, 1993: 4,2 %, 1994: 3,0 % (Sozialpolitische Umschau 6/95, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)
  • 1992: 5,6 %, 1993: 3,2 %, 1994: 2,0 % (Sozialpolitische Umschau 6/95, Presse- und lnformationsamt der Bundesregierung)
  • 1993:12,5 %, 1994: 6,4 % (Sozialpolitische Umschau 6/95, Presse- und lnformationsamt der Bundesregierung)
  • Dies geht aus einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten E. Altmann (Bündnis ’90/Die Grünen) hervor, Titel: „Darlehensregelungen beim Bezug von Leistungen nach dem BAföG“ (BT-Drs. 13/497)
  • 1993, Bericht des Generalsekretärs des DSW
  • 1993, Bericht des Generalsekretärs des DSW
  • 1993, Bericht des Generalsekretärs des DSW
  • Bericht der Bundesregierung nach § 35 BAföG, 17.1.94
  • Bericht der Bundesregierung nach § 35 BAföG, 17.1.94
  • 1991 lagen die Lebenshaltungskosten gemäß der 13. Sozialerhebung des DSW, herausgegeben vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, bei 1.086 Mark. Dieser Betrag wurde mit den von der Bundesregierung veröffentlichten Inflationswerten der Jahre 1992 bis 1995 fortgeschrieben.
  • vergleiche Bericht der Bundesregierung zum BAföG vom 8.3.95, Seite 3
  • Quelle: Wissenschaftsrat, Pressemitteilung 6/95 vom 20.2.95
  • Bericht der Bundesregierung zum BAföG vom 8.3.95, Seite 4
  • Bericht der Bundesregierung zum BAföG vom 8.3.95
  • „Es ist daher zu prüfen, ob künftig vom Ergebnis dieser Beratung die Förderung nach einem Fachrichtungswechsel, jedenfalls wenn er mit mangelnder Eignung begründet wird, abhängig gemacht werden soll.“, Bericht der Bundesregierung zum BAföG vom 8.3.95

(…)

Sieben Maßnahmen zur Studienfinanzierung Sofort!

  1. 1 . Sofortige und vollständige Anpassung der Bedarfssätze und der Freibeträge an lnflation und Einkommensentwicklung. Konkret müssen die Bedarfssätze um 1 1,1 % und die Freibeträge um 10,8 % angehoben werden. # 2. Sofortige Anpassung der Förderungshöchstdauer an die durchschnittliche Studienzeit und großzügig gehandhabte Verlängerung der Förderung auf Antrag.
  2. 3. Zukünftig automatische jährliche Anpassung des BAföG an Inflation und Einkommensentwicklung ohne erneute parlamentarische Beratungen.
  3. 4. Sofortige Angleichung der Bedarfssätze in Ostdeutschland an das westdeutsche Niveau innerhalb eines Jahres!
  4. 5. Mittelfristig Anpassung der Bedarfssätze an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten. Die erreichbare Förderungssumme muß 1995 etwa 1.250 Mark betragen.
  5. 6. Deutliche Anhebung der Eiternfreibeträge über die Bereinigung an Lebenshaltungskosten und Einkommensentwicklung hinaus.
  6. 7. Start einer Initiative zur grundlegenden Reformierung des BAföG. Diese muß eine elternunabhängige Förderung für alle Studentinnen zum Ziel haben. In diesem Zusammenhang weisen wir auf den Beschluß der 2. Mitgliederversammlung des fzs zur „Reform der Studienfinanzierung“ hin, in dem grundlegende Anforderungen des fzs an eine sozial gerechte Studienfinanzierung benannt sind.

Beschlossen auf der 3. MV in Düsseldorf, Mai 1995